What is This Thing Called Swing?

What is This Thing Called Swing?

Die Rolle der Synchronisation für das Swing-Feeling im Jazz

Jazz muss swingen - darin sind sich Jazzmusiker einig. Doch auch ein Jahrhundert nach den Anfängen des Jazz ist man sich noch immer nicht einig, welche musikalischen Feinheiten das Swing-Feeling ausmachen. Mit einem gezielten Experiment und Datenanalysen von mehr als 450 bekannten Jazzsoli haben wir versucht, einige Geheimnisse des Swing zu entschlüsseln.

(Für weitere Einzelheiten siehe C. Nelias et al. Downbeat Delays are a key component of the swing feel in jazz [1]).

"It Don't Mean a Thing, If It Ain't Got That Swing"

Das Swing-Feeling ist eines der hervorstechendsten Merkmale der Jazzmusik und wird als wesentlicher Bestandteil von Jazzdarbietungen angesehen, wie es z. B. auch der Titel von Duke Ellingtons Jazzstandard "It Don't Mean a Thing, If It Ain't Got That Swing" ausdrückt. Der Begriff "Swing" wurde von Jazzmusikern eingeführt, um eine bestimmte Spielweise zu bezeichnen, die sie für den Jazz als wichtig erachteten. Doch trotz seiner zentralen Rolle ist immer noch unklar, was die wichtigsten musikalischen und psychoakustischen Bestandteile des Swing-Feelings sind. In der Vergangenheit wurde sogar behauptet, dass "man Swing fühlen, aber nicht erklären kann" [2], oder ähnlich im New Harvard Dictionary of Music, dass Swing "ein nicht greifbares rhythmisches Momentum im Jazz ist ... Swing entzieht sich der Analyse" [3].

Von den möglichen Komponenten des Swing ist bisher nur eine allgemein akzeptiert, nämlich die leicht hörbare ungleiche Unterteilung der Viertelnoten in lange und kurze Achtelnoten. Gemessen wird sie durch das so genannte Swing-Ratio, d.h. das Längenverhältnis von aufeinanderfolgenden langen und kurzen Achtelnoten, die als Downbeats und Offbeats bezeichnet werden.

Interaktive Demonstration: Erkunden Sie Downbeats, Offbeats und Swing-Ratio

Downbeat bezieht sich auf das erste Achtel einer Viertelnote, Offbeat auf das zweite Achtel. Klicken Sie hier für unsere interaktive Demonstration mit Audiobeispielen, mit der Sie Downbeats und Offbeats erkunden können. Sie ermöglicht Ihnen auch, verschiedene Swing-Ratios auszuprobieren und im Beispiel anzuhören.

Dieses Abechseln von Downbeats und Offbeats in ungleicher Länge ist zwar leicht wahrnehmbar und eine allgemein akzeptierte Voraussetzung für Swing, dies allein ist jedoch nicht ausreichend. Hört man sich computergenerierte Jazzmusik an, die lediglich durch die Verwendung eines geeigneten Swing-Ratios "verswingt" wurde, so ist es für Jazzmusiker offensichtlich, dass es weitere Komponenten geben muss. Aber welche sind das, und welche sind wichtig?

Microtiming-Abweichungen als Ursache für den Swing?

Seit langem wird vermutet, dass sogenannte Microtiming-Deviations (MTDs) neben Akzentuierung, Synkopierung und Phrasierung die dominierende Rolle für das Swing-Feeling spielen. Während jedoch die Bedeutung des Swing-Ratios allgemein anerkannt ist, wird die Rolle der rhythmischen Microtiming-Abweichungen seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Verschiedene Autoren haben die Bedeutung "partizipatorischer Diskrepanzen" hervorgehoben, das meint "kleine Diskrepanzen innerhalb des Beats eines Jazzschlagzeugers, zwischen Bass und Schlagzeug, zwischen Rhythmusgruppe und Solisten, die 'Swing' erzeugen und uns zum Mitmachen einladen" [4]. Andere bestritten deren Einfluss und betonten die Bedeutung rhythmischer Präzision. Diese Behauptungen basierten teilweise auf Analysen von kurzen Ausschnitten aus Tonaufnahmen einzelner Jazzmusiker; das mag den Ursprung der widersprüchlichen Behauptungen erklären, da MTDs nicht von allen Musikern gleichermaßen verwendet werden. Darüber hinaus ist nicht klar, dass MTDs - selbst wenn sie beobachtet wurden - spezifisch mit dem Swing-Feeling zusammenhängen und dieses verstärken. Wie läßt sich unter solchen Umständen beweisen, dass MTDs wesentlich zum Swing-Feeling beitragen? [4].

Wenn Jazzmusiker Swing zwar fühlen, ohne ihn erklären zu können, sollten wir in der Lage sein, die Rolle von Mikrotiming-Abweichungen zu klären, indem wir Aufnahmen von erfahrenen Jazzmusikern bewerten lassen, bei denen wir das Mikrotiming auf verschiedene Weise manipuliert haben. Mit einem experimentellen Ansatz und basierend auf einer operationalen Definition von Swing (d. h. die Darbietung eines Stücks swingt, wenn sie von Experten als swingend beurteilt wird) konnten wir die Kontroverse klären und einen positiven Effekt bestimmter systematischer MTDs auf den Swing eindeutig nachweisen. In einer vorangegangenen Studie unserer Forschungsgruppe fanden wir bereits, dass unwillkürliche, zufällige MTDs den Swing nicht verbessern [5], da quantisierte Versionen (d.h. ohne jegliche MTDs) von 12 verschiedenen Jazzstücken von den Hörern am besten bewertet wurden. Offen blieb aber die Frage, ob systematische MTDs eine Rolle für das Swing-Feeling spielen.

Unsere Vorgehensweise [1]

1. Aufnahmen

Wir haben Jazz-Standards (Serenade to a Cuckoo, Jordu und andere) aufgenommen, die von einem professionellen Pianisten auf einem MIDI-Keyboard eingespielt wurden. Während der Pianist spielte, hörte er über Kopfhörer eine quantisierte Aufnahme von Bass und Schlagzeug (d.h. ohne Mikrotiming-Abweichungen), die nicht nur die Begleitung lieferte, sondern auch die Funktion eines Metronoms übernahm. Außerdem haben wir zwei Stücke (The Smudge und Texas Blues) verwendet, die von Miles Black auf der "Oscar Peterson multimedia CD" von PG-music eingespielt worden waren.

2. Systematische Manipulation der Aufnahmen

Wir haben Audiobeispiele präpariert, die verschiedene Arten von systematischen MTDs in Jazz-Piano-Darbietungen ("Solist") in Bezug auf eine quantisierte Rhythmusgruppe ("Rhythmusgruppe") zeigen. Die Manipulationen, die wir an Originalaufnahmen vorgenommen haben, sind in der Abbildung skizziert. Zwei Downbeats sind durch volle vertikale Linien und Metronome gekennzeichnet, der Offbeat dazwischen durch eine gestrichelte vertikale Linie. Das Timing der Rhythmusgruppe (Onset Timing) ist durch helle graue Noten dargestellt, das Timing des Pianos ("Soloist") durch schwarze Noten.  Alle Manipulationen basierten auf einer quantisierten Originalversion, bei der wir die Noten zunächst auf einem Raster mit optimiertem Swing-Verhältnis ausgerichtet haben. Wir mussten dies als ersten Schritt vornehmen, um kontrollierte, unterscheidbare Bedingungen zu schaffen. Dies ist ein unbedenklicher Eingriff, da wir zuvor gezeigt haben, dass zufällige Mikrotiming-Schwankungen keinen positiven Effekt auf den Swing haben [5]. Für das vorliegende Experiment stellten wir die Hypothese auf, dass ein positiver Effekt auf den Swing resultieren könnte aus:

  1. einer verzögerten Manipulation ("both delayed"), bei der alle Solisten Noten gegenüber der Rhythmusgruppe gleichmäßig verzögert werden, und/oder
  2. eine "downbeat delayed"-Manipulation, bei der die Solisten Noten gleichmäßig verzögert werden mit Ausnahme der Offbeats (die mit der Rhythmusgruppe synchronisiert werden). Die Manipulation wurde so gestaltet, dass das Solisten Swing Ratio unverändert bleibt, um keinen separaten Einfluss auf die Swing Bewertungen zu nehmen.

3. Experiment zur Untersuchung des Swing

In unserem Online-Experiment haben wir professionellen und semiprofessionellen Jazzmusikern die manipulierten Audioaufnahmen präsentiert. Die Teilnehmer wurden gebeten, alle drei Manipulationen miteinander zu vergleichen und die Fragen "Hat es geswingt?" und "Hat es gegroovt?" für jede Manipulation einzeln zu beantworten. Die Antworten konnten auf einer Skala von 1 ("überhaupt nicht") bis 4 ("sehr stark") gegeben werden. Die Ergebnisse zeigen, dass professionelle und semiprofessionelle Jazzmusiker den Versionen mit verzögerten Downbeats und synchronisierten Offbeats (d. h. der "downbeat delayed" Version) die höchste Swing-Bewertung gaben. Dies zeigt sich in der in der Abbildung dargestellten Verteilung der Swing-Bewertungen gemittelt über drei Stücke. Es ist zu erkennen, dass die "downbeat delayed" Version einen großen Anteil hoher Bewertungen (3 und 4, blaue Farben) erhielt, während die quantisierte Originalversion und die "both delayed" Version deutlich geringere Anteile hoher Bewertungen erhielten. Die Ergebnisse zu den Groove-Bewertungen zeigen ein ähnliches Muster mit deutlich kleineren Effektgrößen.

 

4. Statistische Aussagekraft

Eine ordinale logistische Regression der Swing-Bewertungen in Abhängigkeit von der Manipulation, der Musikerkategorie und ihrer Interaktion bestätigte diese Ergebnisse statistisch. Das Odds Ratio (das Chancenverhältnis) der verzögerten Downbeat-Versionen im Vergleich zu den quantisierten Originalversionen betrug 7,5 (mit Konfidenzintervall 3,2-17,5). Mit anderen Worten: Wenn die Downbeats der Solisten verzögert und die Offbeats synchronisiert werden, ist es siebeneinhalbmal wahrscheinlicher, dass Jazzmusiker die Aufnahme als swingend beurteilen im Vergleich zum quantisierten Original. Um diesen Effekt weiter zu validieren, haben wir drei zusätzliche Kontrollen durchgeführt. Sie ergaben eine sehr große statistische Trennschärfe des Experiments und erlaubten es, potentielle Effekte von Ausreißern und Stichprobengröße auszuschließen (siehe "Supplementary Information" in unserer Veröffentlichung [6]).

5. Audiobeispiele von manipulierten Aufnahmen

Hier können Sie einige Beispiele unserer manipulierten Aufnahmen anhören. Im Folgenden finden Sie verschiedene Versionen von Jordu, einem Stück von Duke Jordan. Welche Version, d.h. welche Manipulation Sie gehört haben, können Sie sehen, wenn Sie jeweils unter die Aufnahmen klicken. Beachten Sie bitte, dass Sie wahrscheinlich nur dann Unterschiede zwischen den Versionen wahrnehmen können, wenn Sie sehr gute Kopfhörer verwenden, da die zeitlichen Verzögerungen der Noten sehr gering sind. Alle Teilnehmer des Experiments wurden angewiesen, hochwertige Kopfhörer zu benutzen.

Beispiel 1:

Klicken Sie hier um die Version einzusehen Version 1: quantizied original

Beispiel 2:
Klicken Sie hier um die Version einzusehen Version 2: downbeat delayed

Beispiel 3:
Klicken Sie hier um die Version einzusehen Version 3: both delayed

Literatur

  1. Nelias, C. Sturm, E.V. Albrecht, T., Hagmayer, Y., Geisel, T. Downbeat delays are a key component of the swing feel in jazz, Communications Physics 5, 237 (October 6, 2022).
  2. Treadwell B. Big Book Of Swing. Cambridge House; 1946.
  3. Rendel DM. The New Harvard Dictionary Of Music. Harvard University Press; 1986
  4. Keil C. Participatory discrepancies and the power of music. Cultural Anthropology. 1987;2(3):275–283
  5. Datseris, G., Ziereis, A., Albrecht, T., Hagmayer, Y., Priesemann, V., Geisel, T. (2019). Microtiming Deviations and Swing Feel in Jazz. Scientific Reports, 9(1), 1-10.
  6. Nelias, C. Sturm, E.V. Albrecht, T., Hagmayer, Y., Geisel, T.,  Supplementary Information to Downbeat delays are a key component of the swing feel in jazz, Communications Physics 5, 237 (October 6, 2022).
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