Geschichte des Instituts
Die frühe Geschichte des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation ist eng verknüpft mit dem Wirken eines berühmten Wissenschaftlers: Ludwig Prandtl. Der Physiker gilt als Begründer der Strömungslehre und machte sich vor allem durch seine Grenzschichttheorie einen Namen. In Göttingen gründete Prandtl zwei Forschungseinrichtungen, die beide bis heute bestehen: im Jahre 1915 die Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA), die sich auf anwendungsorientierte Fragen der Strömungsphysik konzentrierte und aus der später das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Göttingen hervorging, und im Jahre 1924 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung. Dieses Institut, das sich in erster Linie der Grundlagenforschung widmete, erhielt nach der Gründung der Max-Planck-Gesellschaft den Namen Max-Planck-Institut für Strömungsforschung und wurde 2004 in "Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation" umbenannt.
Bereits 1904 folgte der gebürtige Bayer Ludwig Prandtl einem Ruf an die Universität Göttingen, wo er eine Stelle als außerordentlicher Professor für Technische Physik annahm. Seine Arbeiten zur Strömungsphysik, die er bereits als Professor in Hannover begonnen hatte, setzte er hier unter anderem mit Hilfe eines Wasserkanals fort, in den sich verschiedene Hindernisse einbauen ließen. Schon bald suchte Prandtl jedoch nach Möglichkeiten, angewandtere Forschung mit Hilfe größerer Versuchsanlagen zu betreiben. Die Gelegenheit dazu bot ihm 1907 die Gründung einer Versuchsanstalt in der Hildebrandtstraße. Hier errichtete Prandtl den ersten deutschen Windkanal und begründete damit den Windkanal vom "Göttinger Typ", der noch heute diesen Namen trägt. Der Göttinger Typ zeichnet sich im Gegensatz zu den Windkanälen von Gustav Eiffel durch einen geschlossenen Strömungskreislauf aus (s. Skizze oben). Die Versuchsanstalt gilt als Keimzelle der späteren Aerodynamischen Versuchsanstalt.
Als am 11. Januar 1911 in Berlin die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die Vorgängerorganisation der heutigen Max-Planck-Gesellschaft, gegründet wurde, wurde Ludwig Prandtl erneut tätig. Etwa einen Monat nach ihrer Gründung wandte er sich mit einer Denkschrift an die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Darin fordert er für Göttingen ein Institut für die strömungsphysikalische Grundlagenforschung. Als Argumente für den Standort Göttingen sprachen aus seiner Sicht seine eigenen bisherigen Arbeiten und die besondere Pflege der Mathematik an der Universität.
Die folgenden Verhandlungen mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft erstreckten sich über mehr als ein Jahrzehnt und wurden vom Ersten Weltkrieg unterbrochen. Erst 1924 wurde das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung auf dem Gelände zwischen Böttinger- und Bunsenstraße eingeweiht. Direktor der Einrichtung war Ludwig Prandtl. Bereits 1915 war an der Bunsenstraße die anwendungsorientierte Aerodynamische Versuchsanstalt in Betrieb gegangen. Der Windkanal, den Ludwig Prandtl 1907 an der Hildebrandtstraße errichtet hatte, zog 1918 auf das neue Gelände um. Mit der Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts wurden beide Einrichtungen unter dem Namen "Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung verbunden mit der Aerodynamischen Versuchsanstalt" zusammengelegt. In der Zeit der Nationalsozialismus wurde die AVA vom Kaiser Wilhelm Institut getrennt. Eine kritische Analyse dieser Zeit ist in einem Artikel von Eberhard Bodenschatz und Michael Eckert sowie in der ausführlichen Prandtl-Biografie von M. Eckert zu finden.
Am 11. April 1945 schloss die britische Militärregierung das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung und die Aerodynamische Versuchsanstalt vorläufig und setzte eine Kommission ein, die über das weitere Schicksal beider Forschungseinrichtungen bestimmen sollte. Im Juni desselben Jahres war die Entscheidung getroffen: Die Aerodynamische Versuchsanstalt wurde geschlossen, seine Versuchsanlagen demontiert. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung durfte als Einrichtung der Grundlagenforschung weiterbestehen. Am 1. August 1946 ging das Institut wieder in Betrieb. Im selben Jahr trat Ludwig Prandtl als Direktor der Einrichtung zurück. Sein Nachfolger wurde Albert Betz 1947, der bereits seit Jahren die Aerodynamische Versuchsanstalt geleitet hatte. Walter Tollmien wurde wissenschaftliches Mitglied des Instituts im selben Jahr. Die Gründung der Max-Planck-Gesellschaft als Nachfolge-Organisation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft am 26. Februar 1948 in Göttingen wirkte sich auch auf das Institut für Strömungsforschung aus. Es trug fortan den Namen "Max-Planck-Institut für Strömungsforschung". Nach dem Ruhestand von A. Betz übernahm W. Tollmien 1957 dessen Leitung bis 1968.
Im Jahr 1969 richtete sich das Max-Planck-Institut für Strömungsforschung neu aus und erhielt drei molekularphysikalische Abteilungen: Atom- und Molekülphysik, Molekulare Wechselwirkungen und Reaktionskinetik. Dieser Forschungszweig gewann in den folgenden Jahren immer mehr Bedeutung, so dass 1993 das Institut seine strömungsphysikalische Forschung einstellte.
1996 setzte das Institut erneut einen neuen thematischen Schwerpunkt und berief Prof. Dr. Theo Geisel, der die Abteilung "Nichtlineare Dynamik" eröffnete. Bis 2001 schlossen alle molekularphysikalischen Abteilungen des Instituts. Erst mit der Berufung von Prof. Dr. Stephan Herminghaus und Prof. Dr. Eberhard Bodenschatz 2003 und mit der Gründung der Abteilungen "Dynamik komplexer Fluide" und "Hydrodynamik, Strukturbildung und Nanobiokomplexität" kehrte die Strömungsforschung an das Institut zurück, wurde jetzt aber in den größeren Zusammenhang nicht-linearer und selbstorganisierter Phänomene gestellt. Dieser Entwicklung trug die Umbenennung des Instituts am 19. November 2004 Rechnung. Das Institut heißt seitdem Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation.
Im September 2016 wurde Prof. Dr. Geisel emeritiert und führt seitdem seine Abteilung "Nichtlineare Dynamik" als Emeritusgruppe fort. Im März 2018 wurde Prof. Dr. Ramin Golestanian als Direktor an das Institut berufen und gründete die Abteilung "Physik lebender Materie".
Ende Juni 2023 wurde Prof. Dr. Stephan Herminghaus emeritiert. Nachdem er die Abteilung Dynamik komplexer Fluide über 20 Jahre geleitet hat, ist er jetzt Leiter der Emeritusgruppe Dynamik sozialer Systeme.