Frage:

Wie entwickeln sich Rechts- und Linkshändigkeit?

Antwort:

„Nun nimm doch zum Malen endlich mal die richtige Hand!“ Wie viele Linkshänder mussten sich das in der Vergangenheit anhören? Doch sind diese Vorurteile mittlerweile überwunden. Schließlich nutzen etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung bevorzugt die linke Hand für feinmotorische Tätigkeiten. Anders als die meisten Rechtshänder bevorzugen sie zudem häufig auch das linke Auge, Ohr und Bein. Dennoch geht man von einem reinen Rechtshänderanteil von circa 70 Prozent aus. Die übrigen 20 Prozent entfallen auf umerzogene Linkshänder und diejenigen, die mit beiden Händen etwa gleich geschickt sind.

Um den Unterschied zwischen Rechts- und Linkshändigkeit zu verstehen, müssen wir die Schaltzentrale unserer Bewegungen, das Gehirn, näher betrachten. Es besteht auf den ersten Blick aus zwei recht ähnlichen, geradezu spiegelverkehrt aussehenden Hälften, die nur über einen schmalen Nervenstrang miteinander in Verbindung stehen. Im Laufe der Entwicklungsgeschichte des Menschen haben sich beide Hälften auf verschiedene Verarbeitungsbereiche spezialisiert: Die linke ist für sprachlich-analytische, kausale und logische Informationen zuständig, die rechte für räumlich-ganzheitliche Zusammenhänge, Formen und Ähnlichkeiten. Dennoch ist das Zusammenspiel beider Hälften von enormer Wichtigkeit. Schließlich steuern sie „über Kreuz“ die Bewegungen der Körperseiten: links kontrolliert rechts, und umgekehrt.

Spannend wird es, wenn wir nach der Entstehung der Rechts- oder Linkshändigkeit fragen, denn die Forschung zu diesem Thema ist noch längst nicht abgeschlossen. Dass allerdings schon Kinder im Mutterleib bevorzugt an einem Daumen nuckeln, führt vor Augen, dass die Händigkeit nicht allein durch Umwelteinflüsse bedingt ist.  Ursprünglich wurde davon ausgegangen, dass die Herausbildung des aufrechten Ganges, der die Hände „frei“ machte, und die Entstehung der beweglichen Daumenwurzel der Entwicklung der Händigkeit Vorschub leisteten. Es erscheint plausibel, dass der nötige Energie- und Ressourcenaufwand geringer ist, wenn feinmotorische Fähigkeiten auf eine Körperhälfte beschränkt sind.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden verschiedene Erklärungen vorgeschlagen, in denen sowohl genetische, hormonelle als auch zufällige Faktoren eine Rolle spielen. Die Zufalls-Gen-Theorie etwa geht davon aus, dass das Gen, das für die Händigkeit zuständig ist, zwei verschiedene Ausprägungen besitzt: rechtshändig oder zufällig. Die Händigkeit eines Kindes entscheidet sich dann je nachdem, welche Ausprägung des Genes die Eltern vererben. Besitzen beide Eltern die Rechtsausprägung des Gens, wird beim Kind definitiv eine Dominanz der rechten Hand vorliegen. In den anderen Fällen entscheidet mehr oder weniger der Zufall, welche Händigkeit beim Kind vorliegt. Damit lässt sich eine Rechtshänderquote von 75 Prozent ableiten. Es wird außerdem der Tatsache Rechnung getragen, dass 20 Prozent der eineiigen Zwillinge unterschiedliche Händigkeit haben. Andere Theorien verknüpfen etwa die geringere Geschicklichkeit der linken Hand mit der Ausprägung des Sprachzentrums in der linken Gehirnhälfte über hormonelle Einflüsse während der Entwicklung.

Erst 2007 fand eine Gruppe internationaler Wissenschaftler tatsächlich das erste „Händigkeitsgen“. Es nimmt Einfluss auf die neuronale Differenzierung und Verknüpfung und somit auf die Asymmetrie des Gehirns und die Händigkeit. Damit ist den genetisch orientierten Theorien ein gewisser Vorzug zu geben, wenn auch das letzte Wort bei weitem noch nicht gesprochen ist. Schließlich kann die Ausprägung eines Genes indirekt auch auf andere Faktoren, wie zum Beispiel den Hormonhaushalt, Einfluss haben. Der menschliche Körper ist ein höchst komplexes System mit den vielfältigsten Verquickungen und Wechselwirkungen. Es bleibt also spannend.

Dass es aber wirklich belebend wirken kann, die Kommunikation der beiden Gehirnhälften durch ungewohnte Tätigkeiten anzuregen, kann der Leser auch selbst ausprobieren: Versuchen Sie heute Abend doch einmal, mit der anderen Hand die Zähne zu putzen.  

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