Frage:

Wie trinkt ein Baum?

Antwort:

Wenn man ein Glas mit Wasser füllt, ist die Oberfläche des Wassers an den Rändern höher als in der Mitte des Glases. Das Phänomen, das für diesen Effekt verantwortlich ist, wird Kapillarität genannt. Es steht in direktem Zusammenhang mit dem Wettbewerb zwischen kohäsiven (zusammenhaltenden) intermolekularen Kräften innerhalb des Wassers und den Kräften zwischen Wasser und Glas. Die Wirkung der Kapillarität sieht man am besten, wenn man einen Halm mit weniger als zwei Millimeter Durchmesser, also eine Kapillare, in ein Glas Wasser stellt. Das Wasser widersetzt sich der Schwerkraft und fließt den Halm hinauf! Je dünner der Halm, desto höher steigt das Wasser. Dank der Kapillarkräfte können Löschpapier und Schwämme Flüssigkeiten absorbieren, und Tränenflüssigkeit kann zum Auge über die Tränendrüse abfließen.

Baumstämme haben sehr dünne Gefäße, so genannte Xyleme (Holzgewebe), die für den Transport des Saftes von der Wurzel zu den Blättern genutzt werden. Man könnte denken, dass Kapillarkräfte alleinverantwortlich für den Transport des Saftes sind. Jedoch zeigt sich, dass der Saft in diesem Fall nicht höher als einige Meter fließen würde. Wir wissen jedoch, dass einige Bäume bis zu 100 Meter hoch werden können. Daher müssen wir andere Phänomene in Betracht ziehen. Wir könnten zum Beispiel an die so genannte „osmotische Kraft“ denken: Diese Kraft entsteht aufgrund einer Differenz zwischen der Konzentration der aufgelösten Substanzen des Wassers im Boden und im Saft innerhalb der Wurzelzellen. Aber diese Kraft würde den Saft nur etwa 20 Meter ansteigen lassen, jedoch nicht viel höher – dies reicht jedoch auch nicht aus, um das Wasser 100 Meter steigen zu lassen. Schließlich müssen wir bedenken, dass der Baum über die Blätter Wasser verdunstet. Nur 10 Prozent des Wassers, das aus dem Boden kommt, wird für die Photosynthese verwendet; die restlichen 90 Prozent gehen durch Verdampfen verloren. Man kann die Verdunstung sehr leicht beobachten, indem man eine Pflanze in eine Plastiktüte hüllt: Nach ungefähr einer Stunde sind einige kleine Wassertröpfchen im Beutel sichtbar. Wenn Wasser von den Blättern eines Baumes verdunstet, wird eine Kraft auf das Wasser in den Verästelungen des Holzgewebes ausgeübt. Aufgrund der hohen Bindekraft der Wassermoleküle zieht diese Kraft die Flüssigkeit von der Wurzel bis zur Baumkrone.

Durch Verdunstung wird der Saft bis zu 100 Meter Höhe gesogen. Dies ist nur aufgrund der hohen Bindekraft der Wassermoleküle möglich. Kapillarität spielt hierbei eine entscheidende Rolle.

Zur Redakteursansicht