Frage:

Warum Fachwerk ganz oben am Jacobi-Turm?

Antwort:

Die Frage lässt sich im Grunde genommen relativ schnell beantworten: Dirk Tiedemann, Pastor im Ruhestand, erzählte mir, dass der Kirchturm am Sonntag nach Weihnachten im Jahr 1555 von einem Blitz getroffen wurde. Das dadurch ausgelöste Feuer war so verheerend, dass die Glocken glühend zu Boden fielen und der gesamte Turm vollständig ausbrannte, bis nur noch das äußere Mauerwerk übrigblieb. Daraufhin hat man eine provisorische Haube aufgesetzt, die eben das Fachwerk enthielt.

Und dabei ist es im Wesentlichen bis heute geblieben – auch wenn die Göttinger mit dem Zustand nicht unbedingt zufrieden waren und Georg Christoph Lichtenberg den Turm in vornehmem Latein als „penis gottingensis” bezeichnete.

Es lohnt sich aber, einen genaueren Blick auf die Geschichte des Turmes zu werfen: Baumeister Hans Rutenstein schließt 1426 mit der St. Jacobi-Kirche einen dreijährigen Vertrag zum Bau des Turmes. Anschließend wird seine Arbeit von einem Baumeister Jacob fortgesetzt und 1433 abgeschlossen. Erst 1459 aber wird die Turmspitze fertiggestellt, die von dem Göttinger Stadtchronisten Franciscus Lubecus als lange hölzerne Spitze mit einem großen kupfernen Knauf beschrieben wird. Kaum zwei Jahrzehnte später, 1477, schlägt ein Blitz in den Turm, der aber keinen größeren Schaden nimmt. Der Blitz nimmt einen zweiten Anlauf, trifft 1479 erneut und wirft den Knauf herunter, der 1506 erneuert und im Jahr 1554 noch vergoldet wird. Ein Jahr später schließlich ein dritter Blitzschlag, worauf der Turm vom Knauf bis zum untersten Gewölbe ausbrennt. Tecklenburg schreibt 1896 in einem Protokoll über eine Sitzung des Geschichts-Vereins Göttingen: „Der Turm stand nun offen und schaute ins Land gleich einer Ruine” und „150 Jahre fast hat der Turm so gestanden”.

1694 erst spendet eine Frau Hedwig von Spiegel 100 Thaler für eine Restaurierung, die 1696 abgeschlossen wird und dem Jacobi-Kirchturm sein heutiges Gesicht gibt. Frau von Spiegel und die Turmrestaurierung werden auch in einem Rechnungsbuch der Superintendentur von 1694 erwähnt, doch blieb der Turm keineswegs 150 Jahre lang im Zustand von 1555. Karl Heinz Bielefeld vom Kirchenkreisarchiv zeigte mir eine auf 1610 datierte Zeichnung, auf welcher der Jacobi-Kirchturm schon mit dem Fachwerkgeschoss zu sehen ist. Außerdem ist ein Vertrag mit zwei Schieferdeckern aus dem Jahr 1562 erhalten, die einen zu der Zeit offenbar schon existierenden hölzernen Turmaufbau mit Schiefer bedecken und die nicht zu bedeckenden Teile mit Farbe bestreichen sollten – gemeint ist mit letzterem wohl das Fachwerk.

Die Fenster hingegen blieben vermutlich offen und der Turm hohl, also „gleich einer Ruine”, bis in den Jahren 1694-96 der Innenausbau des Turmes wiederhergestellt und die Haube neu bekupfert wurde. Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein Jacobi-Kirchturm-Verein mit dem Ziel gegründet, dem Turm eine neue gotische Spitze aufzusetzen – allerdings nicht nach dem Vorbild der ursprünglichen Spitze von 1459. Das Vorhaben scheiterte, als in den 1920er Jahren sämtliches gesammeltes Geld in der Inflation verlorenging. Von 1933 bis 1943 hat man den Turm restauriert, die mittlerweile für St. Jacobi und das Göttinger Stadtbild charakteristische Haube jedoch nicht verändert. Und würde heute erneut der Blitz einschlagen, so würde der Turm sicherlich wieder mit Fachwerk aufgebaut werden.

Besonderer Dank gilt neben Dirk Tiedemann und Karl Heinz Bielefeld auch den Mitarbeitern der Bibliothek des Kunstgeschichtlichen Seminars, des Stadtarchives und des Kirchenkreisarchives für ihre freundliche Unterstützung.

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