Frage:
Warum vergeht die Zeit schneller, wenn man älter wird?
Antwort:
Sehen Sie sich doch mal eine Uhr an. Bewegt sich der Sekundenzeiger etwa schneller als noch vor zehn Jahren? Natürlich nicht. Was für eine alberne Frage, mögen Sie denken. Doch warum kommt es uns dann oft so vor, als verginge jedes Jahr schneller als das vorangegangene? Obwohl die Zeit wie immer verstreicht, bemerken wir sie immer weniger.
Zeit ist ein sehr kompliziertes und oftmals trügerisches Konzept. Gleichwohl sie objektiv einfach zu messen ist, nimmt sie in unserem Geist die sonderbarsten Erscheinungsformen an und kann uns die merkwürdigsten Streiche spielen. Zwar haben wir Augen und Ohren, um Farben zu sehen und Geräusche zu hören, doch haben wir keinen eigenen Sinn, um Zeit zu messen. Stattdessen nutzen wir oftmals andere Sinneswahrnehmungen, um aus ihnen Informationen über Zeitpunkt und Dauer bestimmter Ereignisse abzuleiten. Heute glaubt man, dass an diesen „Messprozessen“ viele verschiedene Regionen des Gehirns beteiligt sind, die dazu beitragen, jeweils unterschiedliche Facetten der Zeit darzustellen und zu verarbeiten. Wie viel Zeit ist vergangen, seit Sie eingeschlafen sind? Wie lange war die Sekunde, bevor Ihr Auto in den Baum raste? Wie lange dauert es, bis das Wasser kocht, wenn man hungrig ist? Und wie viele Minuten umfasste die tolle Ferienwoche am Meer? Dasselbe Ereignis kann, je nachdem ob dieses Ereignis noch in der Zukunft liegt, wir es gerade erleben oder uns daran erinnern, sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Die Sekunde direkt vor dem Autounfall vergeht blitzschnell. In der Erinnerung kann es uns jedoch so vorkommen, als habe sie „eine Ewigkeit“ gedauert. Auch das Wasser brauchte eine Ewigkeit, um endlich zu kochen – doch ist das vergessen, sobald man anfängt, die Ravioli zu essen. Die Vergangenheit existiert bloß in unserer Erinnerung und nimmt dabei die Form an, die unser Gehirn ihr gibt. Wissenschaftler glauben, dass die wahrgenommene Dauer vergangener Ereignisse stark mit der Menge neuer kognitiver Erfahrungen zusammenhängt, die wir im Rahmen dieses Ereignisses gemacht haben. Je mehr neue Emotionen oder ungewöhnliche Empfindungen im Spiel sind, desto mehr „Speicherplatz“ wird benötigt, um die entsprechenden Erinnerungen aufzuzeichnen. Diese nehmen mehr Raum im Gehirn ein und das dazugehörige Ereignis kommt uns somit länger vor. Ein Tag voller Routine etwa, an dem sich aus Sicht des Gehirns nichts außergewöhnlich Neues ereignet, ist wenig „bemerkenswert“, hinterlässt also nur wenige Erinnerungen – und kommt uns deshalb im Nachhinein auch kurz vor. Als wir Kinder waren, war alles – objektiv oder subjektiv betrachtet – irgendwann einmal neu: jede Empfindung, jedes Gefühl, jeder Anblick, jedes Stück Wissen. Alles war eine neue kognitive Erfahrung und deshalb erscheinen uns die Kindheitserinnerungen so lang. Wenn wir älter werden, gibt es immer weniger Ereignisse, die einen solch starken Eindruck in unserem Gehirn hinterlassen, immer mehr Vorgänge laufen mehr oder weniger automatisch ab. Deshalb scheint die Zeit wie im Flug zu vergehen. Als Erwachsene lernen wir zudem, der Realität zu entfliehen. Während wir irgendwo warten müssen, entfliehen wir dem Hier und Jetzt und denken über eines der vielen Probleme nach, die uns gerade beschäftigen. Auch auf diese Weise stiehlt sich die Zeit fort, ohne dass wir es merken.
Wenn Sie also nicht möchten, dass die Zeit zu schnell vergeht, sollten Sie Ihr Gehirn immer wieder fordern und neue, umwerfende Erinnerungen schaffen. Lernen Sie etwas wirklich Neues kennen! Wie wäre es denn beispielsweise mal damit, Tango zu lernen oder im Harz klettern zu gehen?