Frage:

Wie viele Tiere sind notwendig, um die Art zu erhalten?

Antwort:

Der Verlust von Biodiversität, das heißt der Verlust von Tier- und Pflanzenarten, ist eines der großen globalen Probleme des 21. Jahrhunderts. Viele Arten verschwinden still und heimlich von der Erde, ohne dass wir Notiz davon nehmen. Wenn ein weiteres Stück Regenwald abgebrannt oder in eine Plantage für Ölpalmen umgewandelt wird, sterben vielleicht einige Arten von Insekten und anderen kleinen Tieren aus, ohne dass wir es je erfahren. Bei größeren Arten fällt es schon eher auf, wenn auch nach intensiver Suche keine Exemplare mehr zu finden sind. So wurde etwa vom chinesischen Flussdelfin seit den 1980er Jahren kein Lebenszeichen mehr gefunden.

Viele Arten sind mittlerweile so stark dezimiert, dass es nur noch einige wenige Exemplare gibt. Beispiele sind das Annamiten-Nashorn aus Südvietnam (3 bis 8 Exemplare) und der Hainan-Schopfgibbon aus Südchina (weniger als 20 Exemplare). Aber auch wenn der Bestand, wie beim Pardelluchs von der iberischen Halbinsel, noch ungefähr 200 Exemplare zählt, sind die Überlebenschancen nicht besonders groß. Denn unter den 200 Tieren sind nur 30 fortpflanzungsfähige Weibchen, die Nachkommen produzieren können. Dennoch wurden für einige der stark vom Aussterben bedrohten Arten erfolgreiche Schutz- und Zuchtprogramme eingerichtet. Im Jahr 1987 lebten nur noch 27 kalifornische Kondore. Man hat alle Tiere eingefangen und in Gefangenschaft vermehrt. Ab 1992 hat man dann wieder Tiere in die Freiheit entlassen. 2010 war der Bestand in Freiheit wieder auf 188 Kondore angewachsen. Im Zusammenhang mit solch kleinen Populationen hört oder liest man oft von Problemen wie Inzucht oder Schwierigkeiten bei der Fortpflanzung. Es stellt sich die Frage, wie viele Exemplare einer Art ausreichend sind, um langfristig eine überlebensfähige Population aufzubauen. Einen ersten Hinweis finden wir in der biblischen Geschichte von Noah und seiner Arche. „Und du sollst in die Arche tun allerlei Tiere von allem Fleisch, je ein Paar, Männlein und Weiblein, dass sie lebendig bleiben bei dir. Von den Vögeln nach ihrer Art, von dem Vieh nach seiner Art und von allerlei Gewürm auf Erden nach seiner Art: von den allen soll je ein Paar zu dir hineingehen, dass sie leben bleiben.“ (1. Mose 6.19-20). In Prinzip hat die Bibel in diesem Fall Recht. Bei sich geschlechtlich fortpflanzenden Lebewesen reichen, mit viel Glück, ein Männchen und ein Weibchen aus, um eine neue Population zu begründen oder zu erhalten. Die Besiedlung von Inseln weit ab vom Festland, kann hier als Beispiel dienen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine kleine Insel im Ozean mehrfach von einer Art besiedelt wird, beispielsweise die Galapagos Inseln von Leguanen. Hier könnte tatsächlich eine kleine Gruppe, ein Paar oder ein befruchtetes Weibchen ausgereicht haben, um auf den Inseln eine Population von Leguanen entstehen zu lassen. Ähnliches gilt auch für die Besiedlung von Madagaskar mit Lemuren und anderen Säugetieren, die ursprünglich alle vom afrikanischen Festland stammen. Es gibt viele weitere Beispiele auch aus dem Bereich der Zucht von Haustieren, bei denen aus einem Pärchen im Laufe der Zeit eine große Population entstanden ist. Der springende Punkt ist aber, dass hierfür sehr viel Glück notwendig ist. Sicherlich gibt es sehr viel mehr Fälle, in denen die Besiedlung einer Insel oder einer neuen Landschaft nicht geklappt hat. Aber von diesen Fällen gibt es natürlich keine Zeugen. Zudem kann eine kleine Population von Tieren, die in einem eng begrenzten Gebiet lebt, sehr viel leichter Opfer von Umweltkatastrophen werden als eine große Population, die über ein großes Gebiet verbreitet ist. Je kleiner eine Population ist, desto anfälliger ist sie für Umweltveränderungen und desto gefährdeter ist sie bei Umweltkatastrophen. Hierzu können auch Krankheiten gehören. Eine ansteckende Krankheit, wie die Vogelgrippe kann zum Beispiel eine kleine Population seltener Vögel vernichten, eine große aber nicht so leicht. Woran kann das liegen? In einer kleinen Population sind die einzelnen Tiere oft nah miteinander verwandt, da sie sich immer wieder nur untereinander verpaaren können. Es kommt zur Inzucht. Die Nachkommen haben dann oft eine sehr ähnliche genetische Ausstattung, was dazu führt, dass auch ihr Immunsystem, also ihre Abwehrkräfte, sehr ähnlich reagiert. Kommt nun ein Krankheitserreger in die Population, mit dem das Abwehrsystem nicht fertig wird, sind alle Mitglieder gleichermaßen betroffen, werden krank und sterben. Die Population erlischt. Bei größeren Populationen gibt es mehr genetische Unterschiede, so dass einige Tiere ein Immunsystem haben, das die Krankheitserreger bekämpfen kann. Diese Tiere überleben und können eine neue Population begründen. Es ist schwer eine genaue Zahl von Tieren festzulegen, die ausreicht, damit eine Art überlebt. Richtig ist aber auf jeden Fall, dass größere Populationen eine größere Chance haben. Im Prinzip muss für jede bedrohte Art eine Analyse ihrer Überlebensfähigkeit durchgeführt werden. Dazu gehören neben einer Abschätzung der Bedrohungsfaktoren, wie z.B. für die Gibbons der Verlust von Wald oder Wilderei, eine Bestimmung der genetischen Variabilität in der Restpopulation. Mit diesem Wissen können geeignete Schutz- und Zuchtmaßnahmen eingeleitet werden.

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