Frage:

Vom Denken und Sprechen...?

Antwort:

Schon in der Antike haben Wissenschaftler die Sprache als mächtiges Denkwerkzeug erkannt. Wenn wir denken, führen wir einen inneren Dialog mit uns selbst, und unsere Gedanken erscheinen uns oft in Form von Worten und Sätzen. Bedeutet dies, dass ein Gedanke erst existiert, wenn er in Worte gefasst wurde? Bedeutet es außerdem, dass die Worte und grammatischen Strukturen unserer Sprache uns darin beeinflussen, wie und was wir denken?

Denken ist ein Teil fast aller unserer täglichen Tätigkeiten. So sind zum Beispiel Denkprozesse involviert, wenn wir den Weg durch die Stadt nach Hause finden, eine Mahlzeit zubereiten oder ein Möbel reparieren. Wenn Sie schon einmal jemand den Weg gezeigt, ein Gericht gekocht oder eine Anleitung für eine Reparatur gegeben haben, dann haben Sie bestimmt bemerkt, wie schwierig es sein kann, seine eigenen Gedanken in Worte zu fassen. Umgekehrt sind wir aber auch fähig, Ideen und Gedanken anderer Leute ohne Worte zu erfassen und zu schätzen. Wenn wir beispielsweise ein schon zusammengebautes Möbel oder schon zubereitetes Gericht betrachten, können wir verstehen, wie diese gemacht wurden, ohne Worte zu verwenden. Wenn wir ein Gemälde oder ein Foto betrachten, sind wir oft im Stande den künstlerischen Gedanken dahinter nachzuvollziehen – und zwar unabhängig von der Sprache, die der Künstler spricht. Diese Beispiele legen nahe, dass Denkprozesse teilweise sowohl unabhängig von der Sprache, als auch ohne Sprache möglich sind. Scheinbar können wir einen klaren Gedanken und dennoch Mühe haben, diesen in Worten auszudrücken. Wir können auch die Gedanken anderer verstehen, ohne zu sprechen. Müssen wir dann die Titelfrage mit „Nein“ beantworten? Obwohl die Diskussion des Zusammenhangs zwischen Sprache und Denken eine lange Geschichte in der Forschung einnimmt, ist dieses Thema auch heute noch ein Gegenstand heftiger Debatten. Angesehene Gelehrte wie Steven Pinker an der Harvard Universität und Noam Chomsky am Massachusetts Institute of Technology meinen, dass das Denken unabhängig von der jeweiligen Sprache ist, die wir sprechen. Sie und ihre Anhänger befürworten die Idee, dass alle Sprachen der Welt, von einer fundamentalen Ebene her gesehen, gleich sind und dass die einzigen wahrnehmbaren Unterschiede oberflächlicher Natur sind; und deswegen könnten die Sprachen unsere Wahrnehmung nicht beeinflussen. Allerdings teilen andere Wissenschaftler diese Ansicht nicht. Forscher an der Stanford Universität, am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik und anderen Instituten haben Effekte der Sprache untersucht, welche die Wahrnehmung von Farben beeinträchtigen, unser Denken über Ort und Zeit und unser künstlerisches Schaffen beeinflussen. Die Resultate aus diesen Studien unterstützen die sogenannte sprachliche Relativitätshypothese. Diese besagt, dass Sprache unser Denken beeinträchtigt. Wie sieht es aus mit Beispielen, die für diese Hypothese sprechen? Falls Sie ein fleißiger Museumsbesucher sind, haben Sie vielleicht bemerkt, dass der Tod in deutschen Gemälden als alter Mann dargestellt wird, in russischen Gemälden hingegen als alte Frau. Woher stammt dieser Unterschied? Ein Vergleich der beiden Sprachen gibt uns einen Hinweis: Auf Deutsch ist das Wort „Tod“ männlich, im Russischen weiblich. Sprache kann uns auch in der Raum- und Ortsorientierung beeinflussen. In Sprachen wie Deutsch und Englisch beschreiben wir die Lage von Gegenständen immer relativ zu unserem eigenen Standpunkt. So ist zum Beispiel die Bedeutung des Wortes „links“ davon abhängig, in welche Richtung wir schauen. In anderen Sprachen, wie zum Beispiel der australischen Sprache Guugu Yimithirr, bezieht man sich umgekehrt bei der Beschreibung einer Lage auf die absolute Himmelsrichtung, und man würde die Lage eines Gegenstandes als nördlich oder südlich beschreiben. So könnte man sich beispielsweise vorstellen, dass ein Australier seinem Freund sagt: „Pass auf, da ist eine Wespe auf deinem nördlichen Bein“; wir hingegen würden uns auf das „linke Bein“ beziehen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Sprecher solcher Sprachen anders über Raum nachdenken als wir in der westlichen Welt und uns in Sachen Orientierung in ungewohnten Umgebungen weit überlegen sind. Zusammenfassend können wir sagen, dass wir beim Nachdenken nicht notwendigerweise alle unsere Gedanken so in Worte fassen, wie wenn wir uns mit jemandem unterhalten. Und wenn wir eine praktische Tätigkeit verrichten, formulieren wir oft die dafür notwendigen Lösungsansätze nicht in Worten. Umgekehrt hat neuere Forschung aufgezeigt, dass die Eigenschaften unserer eigenen Sprache oft durchaus subtile Einflüsse auf den Inhalt unserer Gedanken nehmen können.

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