Ein Entkommen aus Fallen
Molekulare Wechselwirkungen ermöglichen es, die Energiebarriere zu überwinden
Nicht-reziproke Wechselwirkungen können effizientere molekulare Systeme schaffen. Wissenschaftler*innen der Abteilung „Physik der lebenden Materie“ am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) erforschten einen Mechanismus, der beschreibt, wie Energiebarrieren in komplexen Systemen überwunden werden können. Ihre Erkenntnisse können dabei helfen, molekulare Maschinen zu entwickeln und die Selbstorganisation aktiver Materie zu verstehen.
Sowohl in der Physik als auch in der Biologie streben Systeme einen Zustand minimaler Energie an: Wenn ein Ball eine Rampe hinunter und über eine unebene Sandfläche rollt, kommt er schließlich in einer Kuhle zum Stillstand. Ohne weitere Energiezufuhr von außen wird er sich dann nicht wieder in Bewegung setzen, selbst wenn es in der Nähe einen Abhang oder eine tiefere Kuhle gibt, die das Energieniveau noch weiter senken könnte, denn zwischen diesen Zuständen existiert eine Energiebarriere. In der Biologie ist dieses Phänomen auch bei der Proteinfaltung bekannt. Vor allem in komplexen Systemen können Proteine in ein lokales Energieminimum fallen, bevor sie vollständig und korrekt aufgebaut wurden. Dies beeinträchtigt dann oft ihre Funktion und führt dazu, dass die Proteine in einem statischen Gleichgewichtszustand gefangen sind, aus dem sie nicht mehr herauskommen.
Forschende des MPI-DS haben nun untersucht, wie nicht-reziproke Wechselwirkungen helfen können, solche Zustände zu überwinden. Diese Wechselwirkungen treten häufig zwischen molekularen Strukturen auf und ähneln einem Räuber-Beute-Verhalten. Ein Molekül A kann von einem anderen Molekül B angezogen werden, während gleichzeitig Molekül B von Molekül A abgestoßen wird. Dies führt zu einer dynamischen Wechselwirkung, die zur Bildung von Strukturen und Mustern führen kann.
„Wir haben festgestellt, dass nicht-reziproke Wechselwirkungen in aktiver Materie dazu beitragen können, Energiebarrieren in diesen Systemen zu überwinden“, berichtet Jakob Metson, zusammen mit Saeed Osat Erstautor der Studie. In ihrer Arbeit schlagen die Wissenschaftler*innen einen allgemeinen Mechanismus vor, der nicht-reziproke dynamische Wechselwirkungen mit einbezieht, um einer statischen Gleichgewichtsfalle zu entkommen. Ihre Erkenntnisse können so dazu beitragen, effizientere molekulare Systeme zu entwickeln. „Auf konzeptioneller Ebene kann der von uns vorgeschlagene Mechanismus das leisten, was biologische Enzyme können, nachdem sie in 3,5 Milliarden Jahren der Evolution optimiert wurden“, sagt Ramin Golestanian, Direktor der Abteilung „Physik lebender Materie“ am MPI-DS.
Die Arbeit der Gruppe steht im Zusammenhang mit einer früheren Studie über molekulare Formveränderung und die Neuordnung von Strukturen.Die neue Studie liefert so weitere wertvolle Einblicke in die Prinzipien der Selbstorganisation von aktiver Materie.