Synchrotrons beschleunigen Corona-Forschung

Göttinger und Mainzer Forscher untersuchen mithilfe kurzwelliger Photonen Verteilung von Aerosolpartikeln beim Singen, Sprechen oder Husten

2. Juli 2021
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt der Mack-Planck-Institute für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) in Göttingen sowie für Chemie (MPIC) in Mainz  wird die Übertragung von SARS-CoV-2 durch die Luft untersucht. Durch Simulation verschiedener Alltagsszenarien wie Sprechen, Singen oder Husten werden die jeweils entstehenden Tröpfchen auf ihre Viruslast und potentielle Infektiosität untersucht. Hierbei kommt auch BESSY II, die Synchrotronstrahlungsquelle in Berlin, zum Einsatz, um das Virus mit atomarer Genauigkeit abzubilden.

Der wesentliche Verbreitungsweg von SARS-Cov-2 ist die Übertragung durch die Luft in Form von Viruspartikeln in der Atemluft von infizierten Personen. In dem gemeinschaftlichen Forschungsprojekt werden hierzu zunächst im Reinraum des MPIDS Proben der beim Atmen ausgestoßenen Aerosole in einer eigens hierfür konzipierten Maske gesammelt. „Durch spezielle Filter an den Vollgesichts-Masken und Messungen im Reinraum werden kontrollierte Messbedingungen geschaffen und bereits in der Luft befindlichen Partikel weitestgehend beseitig“, erklärt Prof. Bodenschatz, Direktor am MPIDS den Versuchsaufbau. Die Proben werden anschließend im MPIC untersucht und analysiert; hierbei kommen spezielle mikroskopische und spektroskopische Methoden zum Einsatz. Das Team von Dr. Christopher Pöhlker arbeitet dabei auch mit Dr. Markus Weigand vom Institut für Nanospektroskopie des Helmholtz Zentrum Berlin zusammen

Die mikroskopische und spektroskopische Analyse mittels Röntgenstrahlen am Synchroton BESSY II hilft uns, ein genaues Bild des Atemaerosols und des darin enthaltenden Virus zu erhalten, um die Übertragung von Krankheitserregern im Alltag besser zu verstehen“, beschreibt Pöhlker. Um wirksame Impfstoffe und Medikamente gegen das Virus zu entwickeln, ist solch ein molekulares Verständnis der Übertragungswege unabdingbar. Ein klassisches Lichtmikroskop reicht zur Beobachtung der Viruspartikel jedoch nicht aus: Sie sind kleiner als die Wellenlänge des Lichtes selbst und entziehen sich somit der optischen Beobachtung.

Schnelles Vorankommen dank Großforschungsanlagen

Der Einsatz kurzwelligerer Strahlung, wie zum Beispiel Röntgenstrahlung, schafft hier jedoch Abhilfe: Mit Hilfe des Synchrotrons kann extrem brillantes Röntgenlicht erzeugt werden, welches es erlaubt das Virus mit atomarer Genauigkeit abzubilden. Hier zeigt sich auch der Vorteil der seit Jahrzehnten etablierten Forschungsinfrastruktur in Deutschland und mit deutscher Beteiligung: Außer BESSY II am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) gibt es auch weitere ähnliche Großforschungsanlagen wie die Synchrotron-Lichtquellen PETRA III und FLASH am Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) in Hamburg, den European XFEL im Hamburger Umland oder die ESRF in Grenoble, Frankreich.

Das Herzstück eines solchen Synchrotrons ist ein Teilchenbeschleuniger. Dieser beschleunigt Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit. Spezielle Magnete lenken die Elektronen von ihrer Flugbahn ab; beim Bremsen verlieren sie Energie in Form von Licht. Diese Photonen, die einen weiten Bereich von Infrarot bis Röntgen abdecken, werden dann genutzt, um chemische Prozesse, Zellen und Moleküle,  die Ausbreitung von Aerosolpartikeln oder das Ausmaß der Schädigung des Lungengewebes von COVID-Patienten zu untersuchen.

„Das Besondere an solch spezieller Forschungsinfrastruktur wie BESSY II ist: Eine große Gemeinde von Nutzerinnen und Nutzern aus Forschungseinrichtungen, Universitäten und sogar Industrie können ihre Proben dort mit modernsten Messmethoden untersuchen. Dass diese Infrastruktur zur Verfügung steht, ist gerade bei der Corona-Forschung ein riesiger Vorteil“, sagt Prof. Dr. Jan-Dierk Grunwaldt (KIT), Vorsitzender des Komitees Forschung mit Synchrotron-Strahlung (KFS).

Gleich nachdem Anfang 2020 das Genom des neuartigen Coronavirus SARS-CoV2 bekannt wurde, starteten die ersten Messungen von Virus-Molekülen an deutschen Synchtrotrons. Durch ein besonderes Schnellverfahren in der Organisation wurde den Forschenden kurzfristig Messzeit eingeräumt, die normalerweise mehrere Monate im Voraus beantragt werden muss. Dies ermöglichte eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte, wie auch die Untersuchungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Max-Planck-Institute in Göttingen und Mainz.

Die nächsten Messungen am Rasterröntgenmikroskop MAXYMUS zur Untersuchung der Aerosolpartikel sind für November 2021 geplant. Weitere Informationen finden Sie hier.

(Pressemeldung des Komitees Forschung mit Synchrotron-Strahlung (KFS) / Bearbeitungen MPI für Chemie & MPI für Dynamik und Selbstorganisation)

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