Go Nano – Ringstrukturen für die Zukunft

In Nanoporen ordnen sich Flüssigkristalle in Baumringen an

12. Februar 2018

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Flüssigkristalle ihren Weg in fast jeden modernen Haushalt gefunden. Ob Computer, TV oder Tablet: Flüssigkristalle sind aus unserem heutigem Leben kaum noch wegzudenken. Insbesondere wegen ihrer Fähigkeit zur Selbstorganisation werden Flüssigkristalle hoch geschätzt. Sie legen immer wieder überraschendes Verhalten an den Tag. So finden Labore auf der ganzen Welt neue Wege, um die Flexibilität dieser Substanzen auszunutzen. Denn dieses Material birgt immer noch großes Potenzial für die künftigen Anwendungen. Die Forscher Arne Zantop und Marco Mazza vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation haben eine neue Eigenschaft der Flüssigkristalle entdeckt: Auf engem Raum eingesperrt, organisieren sich ihre Moleküle in ringartige Strukturen und bewirken damit eine schrittweise Veränderung ihres Aggregatzustandes. Ihr Ergebnis präsentieren die Forscher in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Physical Review Letters".

Wenn es mal eng wird

Die theoretische und experimentelle Zusammenarbeit der Göttinger Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation mit der Technischen Universität Hamburg (TUHH) und dem Deutschen Elektronen-Synchrotron Forschungszentrum (DESY) zeigt einen schrittweisen temperaturabhängigen Übergang, der die Selbstorganisation von flüssigkristallinen Molekülen begleitet. Dafür haben die Physiker die flüssigkritallinen Moleküle mit einem nanoporösen Silikatglas in Kontakt gebracht. Die Poren sind winzige, nur einige millionstel Millimeter breite, zylindrische Öffnungen im Material. Im Normalfall ordnen sich die münzartigen Moleküle des untersuchten Flüssigkristalls in langen Säulen an und sehen dabei wie die Stapel von Casinochips aus. Nun zeigen die Forscher erstmalig, wie sich in die Enge getriebene Moleküle, ausgehend von den Porenwänden schichtweise ohne äußere Einflüsse zum Porenzentrum hin zusammensetzen. Dabei ähnelt die Nanopore der Ringstruktur eines Baumstammes. „Die Kombination von Symmetrie und engem Raum führt zu neuen, unerwarteten Phasenübergängen“, sagt Marco Mazza vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen, der die theoretische Arbeit leitete. Mazzas Kollege, Arne Zantop erarbeitete ein theoretisches und numerisches Modell für die nanobeschränkten Flüssigkristalle, welches viel zu der Bestätigung und der Interpretation der experimentellen Ergebnisse beiträgt.

Schicht für Schicht - Übergänge machen´s möglich

Physiker sprechen von Phasenübergängen, wenn Temperatur- oder Druckänderungen, die entsprechenden Veränderungen im Aggregatzustand bestimmter Materialien bewirken. Einige dieser Umwandlungen passieren sehr häufig. Zum Beispiel wissen wir alle, dass Wasser zu Eis erstarrt, wenn die Temperatur unter 0°C sinkt, das ein Bleistück schmilzt, wenn wir es am Silvesterabend über eine Kerzenflamme halten oder das unsere Brillen beschlagen, wenn wir an einem kalten Wintertag nach Hause kommen. Im Falle der flüssigkristallinen Ringe sorgt die schrittweise Abkühlung des Materials dafür, dass sich vorher komplett ungeordnete Moleküle nach und nach in Schichten anordnen und dabei eine neue Struktur bilden. Bei einer bestimmten Temperatur entsteht eine neue Schicht. Schon kleine Temperaturschwankungen können die Entstehung neuer Nanoringe ein- oder ausschalten. „In unserer Untersuchung konnten wir diese Veränderung der Molekularstruktur in eingeschlossenen Flüssigkristallen mit Hilfe der  Röntgenbeugungsmethoden in Abhängigkeit von der Temperatur und mit hoher Genauigkeit steuern“, sagt DESY-Wissenschaftlerin Milena Lippmann.

Dieser selten beobachtete, fast bei Raumtemperatur steuerbarer Phasenübergang bietet eine leicht justierbare Methode zur Selbstformation eines neuen optischen Metamaterials. „Dieses Phänomen ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich weiche Materie vielseitig an extreme räumliche Gegebenheiten anpassen kann und wie die enge Umgebung neue Design- und Kontrollprinzipien für die Selbstorganisation funktioneller Nanomaterialien liefern kann“, sagt Kathrin Sentker von der TUHH, die in der Gruppe von Patrick Huber die experimentelle Studie durchführt hat. Die Wissenschaftler hoffen, dass die Entdeckung einer solchen eigenartigen Selbstorganisation vielfältig umgesetzt werden kann. Neben temperaturgesteuerten optischen Metamaterialien ist auch eine neuen Anwendung in organischen Halbleitern denkbar, wie zum Beispiel temperaturschaltbare selbstorganisierte Nanodrähte. „Diese ungewöhnliche Scheibenanordnung könnte zukünftig moderne elektronische Geräte verbessern, diese effizienter und umweltfreundlicher machen", sagt Max-Planck-Forscher Marco Mazza.  

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