Biologische Datenströme

Physiker Mantas Gabrielaitis vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation erhält Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft

21. Juni 2017

Mantas Gabrielaitis erhält die Otto Hahn Medaille der Max-Planck-Gesellschaft für seine Dissertation am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) und dem Bernstein-Zentrum für Computational Neuroscience (BCCN). Die Medaille wurde ihm heute auf der 68. Jahrestagung der Max-Planck-Gesellschaft in Weimar für seine "bahnbrechende Analyse der Informationscodierung durch einzelne Ionenkanäle im Innenohr und ihre außerordentlichen Energieeffizienz" verliehen. Gabrielaitis absolvierte seine Dissertation in der Forschungsgruppe Theoretische Neurophysik bei Professor Fred Wolf.

Hocheffiziente Datenübertragung durch einzelne Ionenkanäle im Innenohr

Informationen über die Welt der Klänge gelangen durch Hörnervenfasern in unser Gehirn. Indem sie kleinste Pakete von Neurotransmittern an jeweils einer einzigen Synapse freisetzen, aktivieren die sensorischen Haarzellen  die Hörfasernerven im Innenohr. Dieser Vorgang wird durch eine biomolekulare Maschinerie bewerkstelligt, die aufgrund ihrer geringen Größe sehr empfindlich auf die kleinsten Veränderungen in der Umgebung reagiert und damit störungsanfällig ist. Tatsächlich haben in den vergangenen zehn Jahren viele Untersuchungen nahegelegt, dass einzelne präsynaptische Calciumionenkanäle, d.h. einzelne Proteinmoleküle, die Informationsübertragung kontrollieren. Diese Erkenntnisse scheinen mit der wohlbekannten Tatsache zu kollidieren, dass unter allen menschlichen Sinnen das Gehör in seiner ultrahohen zeitlichen Präzision einzigartig ist. Wie ist so feines und genaues Hören mit einer fehleranfälligen Maschinerie möglich?

Während seiner Promotion entwickelte Mantas Gabrielaitis Werkzeuge, um die Antworteigenschaften von sensorischen Haarzell-Synapsen mathematisch zu modellieren und im Computer nachzubilden. Hierbei ging der 30-jährige Physiker von den physikalischen Eigenschaften ihrer grundlegenden molekularen Bestandteile aus. Seine theoretischen Analysen zeigten, dass mit einer geeigneten Wahl der molekularen Parameter die beeinträchtigende Auswirkung von Störeinflüssen, die durch die winzige Größe der Synapse auftreten müssten, minimiert wird. Damit erlaubt dieses Design, die maximale Rate des Informationsflusses vom Ohr zum Gehirn zu erreichen, die unter allen denkbaren synaptischen Organisationen möglich ist. Aufgrund der geringen Anzahl an beteiligten Molekülen minimiert dieses Design gleichzeitig noch die energetischen Betriebskosten für die Zelle. Dies erklärt ihren evolutionären Vorteil gegenüber anderen molekularen Bauweisen. Insgesamt weisen diese Ergebnisse in neue Richtungen für Untersuchungen der molekularen Basis sensorischer Haarzell-Synapsen und ihrer erstaunlichen Leistungen. Sie könnten Wissenschaftlern in Zukunft ermöglichen, die Mechanismen der Fehlfunktion dieser Synapsen in pathologischen Zuständen besser zu erkennen und die Hörfunktion gezielt zu verbessern oder wiederherzustellen. 

Otto-Hahn-Medaille: Seit 1978 zeichnet die Max-Planck-Gesellschaft jedes Jahr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für herausragende wissenschaftliche Leistungen, die sie in der Regel im Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit erbracht haben, mit der Otto-Hahn-Medaille aus. Diese ist mit einem Anerkennungsbetrag von 7500 Euro verbunden. Durch die Preisverleihung sollen besonders begabte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu einer späteren Hochschul- oder Forscherkarriere motiviert werden.

Mantas Gabrielaitis studierte Biophysik und theoretische Physik an der Universität Vilnius, Litauen. Er trat 2011 in die Theoretische Neurophysik-Gruppe unter der Leitung von Prof. Fred Wolf am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation ein, um für seine Dissertation forschen zu können. Seit 2016 arbeitet er als Postdoktorand am MPIDS.

Zur Redakteursansicht