Wo geht´s lang? - Informationen flexibel verteilt

Max-Planck und Bernstein-Forscher erklären dynamische Informationsübertragung in komplexen Netzwerken

12. April 2016

Die Funktion vieler komplexer Systeme wird maßgeblich dadurch ermöglicht,  dass sie flexibel Informationen verteilen und zwischen Systemteilen übertragen können. Viele biologische und künstliche dynamische Systeme sind stark vernetzt und so komplex wie Gen-Regulationsnetze in unseren Zellen, Schaltkreise von Nervenzellen im Gehirn oder mobile technische Kommunikationsnetze. Für solche dynamischen Systeme, in denen Informationsverarbeitung selbstorganisiert, parallel und stark verteilt stattfindet, ist jedoch bisher weitgehend unbekannt, welche Wege sie bei der Informationsübertragung einschlagen. Die ehemaligen Mitarbeiter Dr. Christoph Kirst ( Rockefeller University, USA) und Dr. Demian Battaglia, (Aix-Marseille University, Frankreich) haben zusammen mit Professor Marc Timme, Leiter der Arbeitsgruppe Netzwerk-Dynamik am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und am Bernstein Center for Computational Neuroscience in Göttingen generelle Mechanismen identifiziert, die diese verteilte Informationsübertragung in komplexen Systemen erklärt. Das Forscherteam zeigt damit, wie vernetzte Systeme ihre Informationen mittels kollektiver Dynamik zwischen verschiedenen Teilen des Netzwerkes grundsätzlich aufteilen. Die Ergebnisse sind besonders für oszillatorische, also zwischen verschiedenen Zuständen wechselnde Systeme wie neuronale oder genetische Netzwerke sowie selbstorganisierte mobile Kommunikationsnetze interessant.

Informationsrouten dynamisch optimiert

Die Forscher fanden heraus, dass es für jeden kollektiven dynamischen Zustand eines Gesamtsystems ein Muster des ´Informations-Routings` gibt, also ein Muster der Art und Weise, wie Information zwischen Systemteilen aufgeteilt und übertragen wird.  Dieses ist für biologische wie auch technische selbstorgansierte Systeme interessant, bei denen keine zentrale Steuerung die Informationsverarbeitung und –verteilung regelt. Verändert sich der  dynamische Zustand qualitativ, ändert sich auch das gesamte Routingmuster. Die theoretische Arbeit ist fokussiert auf zeitlich kontinuierliche Systeme, die nicht Päckchen für Päckchen Schritt für Schritt abarbeiten, sondern permanent Informationen routen, übertragen und teilen. Da dynamische Zustände sowohl mittels äußerer Signale als auch mittels Umstrukturierungen des Netzwerks selbst oder einfach durch neue Startbedingungen verändert werden können, sind die Muster des Informationsrouting entsprechend selbst dynamisch und machen die Informationsverarbeitung flexibler.

Informationsmanagement mit Fernsteuerung?

Interessanterweise können solche Änderungen in einem Teil des Netzwerks die Informationsübertragung zwischen zwei anderen Teilen ändern. Ist zum Beispiel in einem dynamischen Zustand die Informationsübertragung von Netzwerkteil A nach B gerichtet, so kann eine Umstrukturierung eines dritten Netzwerkteils C (oder ein Signal an C) die Richtung der Informationsübertragung zwischen den beiden ersten Teilen umkehren, so dass sie von B nach A umgekehrt wird. Dadurch, dass sämtliche Informationen im Netzwerk verteilt vorliegen, kann die Netzwerk-Dynamik eine solche Fernsteuerung  zwischen Netzwerkteilen generieren. Als wichtiger Grundpfeiler des Verständnisses modular aufgebauter Systeme haben die  Forscher auch ermittelt, wie man die Informationsroutingmuster von einer Skala auf die nächstgröbere übersetzt, wie sich also beispielsweise ein bestimmtes Informationsrouting zwischen einzelnen Nervenzellen auf das Routing zwischen Nervenzellpopulationen überträgt.

"Für Netzwerke von Computern und andere digitale Systeme ist es gut verstanden welche Möglichkeiten es für die Verteilung von Informationen gibt. Für biologische Systemen wird allgemein angenommen, dass Informationen verteilt repräsentiert und zwischen den Teilen in komplexer Weise übertragen werden. Wie das aber genau funktionieren kann, war weitgehend unbekannt.“, sagt Prof. Timme. „Wir haben nun eine Theorie entwickelt, die zeigt, wie dieses Routing in zeitlich kontinuierlichen und analogen Systemen durch kollektive Dynamik bestimmt wird.“,  erläutert Dr. Kirst.

Neuer Blickwinkel auf Informationsverteilung in komplexen Netzwerken

Die Ergebnisse bieten erste Einsichten, nach welchen Prinzipien Informationsverteilung und Informationsübertragung in vernetzten Systemen in selbst-organisierender Weise stattfinden kann. Diese Einsichten können besonders für biologische Netzwerke, wie etwa neuronale oder genetische Systeme relevant sein, deren Hauptfunktion darin besteht, Informationen aufzunehmen, zu verteilen und zu verarbeiten. Mit der Publikation sind Wissenschaftler in den Neuro- und Biowissenschaften  jetzt konzeptionell einen kleinen Schritt weiter und können bestimmte Fragen zu informationsverarbeitenden Systemen aus einer neuen Perspektive beantworten, weil sie deren Grundlagen besser verstanden haben.

Originalpublikation:
Dynamic information routing in complex networks C. Kirst, M. Timme, and D. Battaglia
Nature Comm. vol:pp (2016)

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