Biologische Datenübertragung
Energieeffizient durch kurze Wege
Auf kurzen Wegen durch die Zelle
Sinnes- und Nervenzellen übertragen Informationen durch spezialisierte Zellkontakte, sogenannte Synapsen. Die Synapsen übertragen Informationen, in dem eine der Zellen in winzigen Bläschen (Vesikel) gespeicherte Botenstoffe freisetzt, die von der Nachbarzelle erkannt werden können. Die Anweisung zur Freisetzung der Botenstoffe gibt die „sendende “ Zelle mit Hilfe von Calciumionen. In ihrer Zellmembran befinden sich molekulare „Poren“, sogenannte Ionenkanäle, die die Erregung der Zelle registrieren und ab einem bestimmten Niveau Calciumionen in die Zelle einfließen lassen. In Haarzellen bilden diese Poren die entscheidende Übersetzungsmaschine zwischen den akustischen Signalen und den Nervenimpulsen, die ans Gehirn gesendet werden.
Um ihren Auftrag der Signalübertragung zu erfüllen, müssen die Calciumionen zügig ihre Empfängerstation auf dem Vesikel erreichen. Dieser molekulare Sensor befindet sich nach den Berechnungen der Max-Planck-Forscher weniger als 20 Nanometer (ca. 200 Atomdurchmesser) von der Eintrittsstelle der Ionen in die Zelle entfernt. Es ist physikalisch unvermeidlich, dass sich viele der Ionen als Irrläufer in die falsche Richtung bewegen oder über das Ziel hinausschießen. Ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen würden diese fehlgeleiteten Ionen außerhalb der Kontaktstellen die Freisetzung von Botenstoffen auslösen – was jedoch wirkungslos ist, weil sie außerhalb der Synapse nicht erkannt werden können. Da nach jeder Freisetzung Vesikel und Botenstoffe aufwändig recycelt werden müssen, wäre eine solche Freisetzung am falschen Ort für die Zelle eine erhebliche Energieverschwendung.
Die neuen Ergebnisse der Göttinger Forscher zeigen, dass die Haarzellen im Innenohr spezielle Eiweiße, sogenannte Calciumpuffereiweiße, verwenden, um „fehlgeleitete“ Ionen einzufangen. Mit Hilfe einer großen Konzentration von drei verschiedenen Calciumpufferproteinen vermeiden die Zellen somit Energieverschwendung.
Zusammenspiel experimenteller und computergestützter Zellforschung
Um herauszuarbeiten was in der Haarzelle des Ohres bei der Freisetzung der Botenstoffe genau passiert, hat das Göttinger Forscherteam um die Professoren Tobias Moser und Fred Wolf genetische, zellbiologische und computergestützte Methoden zusammengeführt.
Ermöglicht wurden die Arbeiten durch eine von Professor Beat Schwaller entwickelte Triple-Knock-Out Maus, in der alle wesentlichen Calciumpufferproteine der Haarzellen genetisch entfernt wurden. Mit ihrer Hilfe konnten Tina Pangrsic und Nicola Strenzke an der Universitätsmedizin Göttingen erstmals untersuchen, wie sich die Freisetzung der Botenstoffe und die neuronale Kodierung bei Abwesenheit der Calciumpuffer verändern. „Durch Messungen der Botenstoff-Freisetzung der Zelle stellen wir fest, dass bei der Triple-Knock-Out-Maus viel mehr der Vesikel freigesetzt werden“, sagt Tina Pangrsic. Das konnten die Forscher mit einer von Erwin Neher in Göttingen entwickelten präzisen Messmethode für die Zelloberfläche nachweisen, die sich mit jedem freigesetzten Vesikel um ein winziges Flächenstück vergrößert. „In den Hörnervenzellen – die über Synapsen den Botenstoff der Haarzellen erhalten – war diese zusätzliche Freisetzung jedoch nicht nachweisbar, sie verhielten sich völlig normal“, ergänzt Nicola Strenzke. „Im Inneren der Haarzelle wird also eine unnötig große Maschinerie in Gang gesetzt und Botenstoff auch außerhalb der Synapsen freigesetzt, wo er seine Wirkung nicht entfalten kann.“

Auf kurzem Weg zum Ziel. Calciumionen müssen nur eine winzige Distanz zurücklegen, um in Haarzellen des Innenohres ihre Empfangsstation auf der Oberfläche von Vesikeln der Neurotransmitter zu erreichen.
Die beiden Max-Planck-Forscher Mantas Gabrielaitis und Professor Fred Wolf haben ein Computermodell entwickelt, das die Bewegungen der Calciumionen und die Rolle der Calcium bindenden Eiweiße mathematisch berechnet. „Wir wollten wissen, was die Haarzelle macht, um die Anweisung zur Freisetzung von Botenstoffen in der Zelle auf die richtige Stelle zu konzentrieren “, erklärt Mantas Gabrielaitis. „Dabei fanden wir heraus, dass die Calcium bindenden Eiweiße der Haarzelle helfen, das Calcium-Signal auf die Synapse zu fokussieren und so Hörreize mit minimalem Energieeinsatz an das Gehirn weiterzugeben.“
Mit dem Ergebnis ihrer Grundlagenforschung lässt sich jetzt grundsätzlich besser verstehen, wie die entscheidenden Sinneszellen des Hörsinnes „Höchstleistungen erbringen ohne Energie zu verschwenden“, betonen die Göttinger Wissenschaftler Moser und Wolf.