Warum verknoten sich Kopfhörerkabel?

Wer kennt es nicht? Man zieht sein tragbares Musikgerät aus der Tasche, sei es ein MP3-Player oder Walkman für die Nostalgiker unter uns, und muss erst einmal das Kopfhörerkabel entknoten, bevor man dem Musikgenuss frönen kann. Auch allerlei weitere Kabel, Seile oder Schnüre verknoten sich manchmal spontan, wenn sie nicht einfach nur ruhig in der Ecke liegen bleiben. Nun stellt sich die Frage: Kann man das spontane Verknoten der Kabel vielleicht mathematisch beschreiben, damit man versteht, welche Eigenschaften eines Kabels die Knotenbildung beeinflusst? Dann könnten Hersteller gezielt Kabel entwickeln, die sich weniger verknoten.

In der Tat haben zwei Physiker der University of California in San Diego sich dieses Problems angenommen und erklären in ihrer Publikation in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“, von welchen Eigenschaften die Verknotung abhängt. Die Wissenschaftler steckten Seile verschiedener Länge und Elastizität in Behälter unterschiedlicher Größe. Diesen Behälter drehten und schüttelten sie mit verschiedenen Geschwindigkeiten. Diesen Vorgang wiederholten sie öfters, und bestimmten anschließend Knotenstatistiken, also zum Beispiel die durchschnittliche Knotenzahl, die für die jeweiligen Parameter herauskamen (d.h. Seillänge, Elastizität, Schüttelgeschwindigkeit und Dauer des Schüttelns). Sie fanden heraus, dass sich weniger Knoten bilden, je kürzer und steifer das Kabel ist. Ebenso verringert sich die Wahrscheinlichkeit der Knotenbildung, je kleiner der Behälter ist, in dem das Kabel geschüttelt wird, und je langsamer die Geschwindigkeit und kürzer die Dauer des Schüttelns ist.

Auf Basis dieser Beobachtungen schlagen die Wissenschaftler ein Modell vor, welches auf einer stochastischen (zufälligen) Bewegung der beiden Seilenden um die beobachteten Schleifen beruht. Hierzu stellt man sich die Seilenden parallel in einer Ebene liegend vor. Wenn das Seil nun geschüttelt wird, gibt es zu jedem Zeitpunkt eine Wahrscheinlichkeit von 1:1, dass die beiden Enden entweder ihre Plätze tauschen oder so liegen bleiben wie zuvor. Wenn sie ihre Lage tauschen, so ist es weiterhin jeweils gleich wahrscheinlich, dass sich ein Seilende über oder unter das andere Ende bewegt. Dies ist eine starke Vereinfachung der eigentlichen Bewegung des Seils. Doch mithilfe dieses wahrscheinlichkeitstheoretischen Modells kann man berechnen, wie viele Knoten sich unter welchen Bedingungen bilden. Da man mit diesen Rechnungen dieselben Ergebnisse wie in den Experimenten erhält, kann man sicher sein, dass das Modell das Wesentliche des Problems gut beschreibt, auch wenn es vereinfacht ist.

Das Schöne an mathematischen Modellen ist, dass sie sich oft nicht nur für das eigentliche Problem eignen, für welches man die Theorie entwickelt hat, sondern auch für andere Situationen. Diese mögen auf den ersten Blick nicht verwandt erscheinen, sind jedoch auf abstrakter Ebene durchaus ähnlich. Zum Beispiel findet die Theorie der Knoten, zu denen das hier besprochene Modell zählt, nicht nur Verwendung für Kabelsalate, sondern z.B. auch für die Beschreibung von Knoten in langen Molekülen wie unserer DNA. Für Wissenschaftler, aber auch für Industrieunternehmen (wie z.B. Kabelhersteller), ergibt sich hieraus der Vorteil, dass sie mithilfe von solchen Modellen komplizierte Situationen mit Computersimulationen studieren können anstatt mit aufwändigen Experimenten.

Wir indes können aus dieser Studie lernen, dass es eine gute Strategie ist, die Seilenden zu fixieren, um Knoten zu vermeiden. Zum Beispiel gibt es an Säcken für Kletterseile zwei Schlingen, an denen man die beiden Seilenden befestigen kann, um zu vermeiden, dass sich Knoten bilden. Auch die Natur musste im Laufe der Evolution Tricks entwickeln, um spontanes Verknoten von Schnüren zu vermeiden: Zum Beispiel sollte die Gebärmutter von Säugetieren so gestaltet sein, dass die Wahrscheinlichkeit für die Verknotung der Nabelschnur sehr gering ist – ein Aspekt ist hier, dass die Gebärmutter ein möglichst kleines Volumen haben sollte.

Und was nun die Kopfhörerkabel angeht: Hersteller sollten Kabel möglichst steif machen – selbstverständlich nicht zu steif! -  um die Knotenbildung zu reduzieren. Und generell ist es eine gute Strategie, Kopfhörer- und andere Kabel möglichst wenig zu schütteln oder die Kabelenden an etwas festzubinden – zumindest wenn man Zeit fürs Entwirren sparen möchte.

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