Was macht Seide so besonders?

Seidenstoffe werden aus filigranen, proteinreichen Fäden gewoben, die man aus den Kokons der Seidenraupe gewinnt. Seide hat viele einzigartige Eigenschaften, die sie von anderen Textilien unterscheidet. Man sagt zum Beispiel oft, dass sie im Sommer kühlt und im Winter warm hält. Das stimmt – allerdings kommt es im Sommer darauf an, wie feucht die Luft und die Haut ist. Wie kommt es nun z.B., dass Seide im Sommer kühlt? Heißt das, dass die Seide wirklich kühl ist, also eine niedrigere Temperatur hat als die Umgebung? Oder könnte es nicht vielmehr daran liegen, dass unsere Haut bei der Berührung kühler wird?

In der Tat gibt es Materialien, die bei Berührung Wärme vom Körper weg leiten – das führt dazu, dass das Material sich kühl anfühlt. Diese Eigenschaft - „Wärmeleitfähigkeit“ genannt - hängt davon ab, welches Material man berührt: Stellen Sie sich vor, Sie laufen barfuß über Holzdielen und danach über Kacheln.  Welcher Boden fühlt sich kälter an? Kacheln bestehen aus Keramik, die Wärme gut leitet, indem sie sie von Molekül zu Molekül überträgt – daher fühlen sie sich kühl an. Ganz ähnlich ist es bei Metallen.      Ob man etwas berührt, das selbst kühl ist, oder ob man etwas berührt, das Wärme vom Körper weg leitet, macht kaum einen Unterschied. Das Entscheidende ist, wie effizient Wärme vom einen Material (z.B. menschliche Haut) zum anderen Material (z.B.  Kacheln, Holz, Metall etc.) fließt, oder auch umgekehrt.

Seidenfäden leiten Wärme nicht gut. Wenn man also Seide am Körper trägt, wirkt sie als eine Art Schutzhülle: An kalten Tagen bleibt die vom Körper erwärmte Luft unter dem isolierenden Stoff „gefangen“ und kann keine Wärme an die Umgebung abgeben – so hilft Seide, den Körper warm zu halten. An sehr heißen Tagen kann umgekehrt die Hitze von draußen nicht so leicht zur Haut durchdringen. Doch das ist nicht der eigentliche Grund, warum Seide im Sommer kühlend wirken kann. Um das zu verstehen, müssen wir noch etwas mehr wissen: Seidenstoffe haben noch eine besondere Eigenschaft, die sie von anderen gewebten Stoffen wie Baumwolle unterscheidet. Seidenfäden haben winzige Löcher, die Feuchtigkeit (also Schweiß) von der Haut weg „saugen“ können. Man nennt diesen Prozess Kapillareffekt. Dieser Effekt spielt auch eine Rolle, wenn Wasser aus der Erde durch die Wurzeln von Pflanzen bis hinauf in deren Blätter „wandert“, oder wenn Farbe an Pinselhaaren hinauf gezogen wird. Diese Eigenschaft macht Seide sehr nützlich für vielerlei Anwendungen wie Siebdruck und Sportkleidung. 

Seide hilft dabei, die Haut zu kühlen, weil der Kapillareffekt den natürlichen Kühlungsprozess des Körpers unterstützt: Seide transportiert durch den Kapillareffekt Feuchtigkeit vom Körper weg nach außen, wo sie verdunstet. Wenn die Luft außen allerdings schon viel Wasserdampf enthält – wie es oft in den Tropen der Fall ist – geht der Vorteil verloren: Die Luft kann nicht noch mehr Wasserdampf halten, also kann die Feuchtigkeit von der Seide nicht so leicht verdunsten. Ob Seide also eine kühlende Wirkung hat oder nicht, hängt davon ab, wie feucht die Luft im Vergleich zur Haut ist. Baumwolle ist wie Seide ein schlechter Wärmeleiter und zieht Feuchtigkeit vom Körper an; doch im Unterschied zur Seide hält Baumwolle die Feuchtigkeit fest, anstatt sie verdunsten zu lassen. Wenn die Luft also feucht ist, kann sich Baumwolle auf der Haut ähnlich wie Seide anfühlen. Probieren Sie es am besten selbst aus! 

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