Turbulenz besser verstehen
Experimente am einzigartigen Windkanal des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) in Göttingen zeigen, dass vor über 80 Jahren formulierte Gesetze und deren Erweiterungen turbulente Strömungen nur unvollständig erklären.
Beim Umrühren einer Tasse Kaffee entsteht eine turbulente Strömung mit großen und sehr kleinen Wirbeln. Die unterschiedlich großen Wirbel beeinflussen sich gegenseitig, indem sie Energie von einem größeren auf einen kleineren Wirbel übertragen bis hin zum kleinsten Wirbel, der sich durch Reibung in der Flüssigkeit auflöst. Dieses Konzept wurde von dem Mathematiker Andrej Kolmogorov zuerst beschrieben, der 1941 allgemeine Skalierungsgesetze für turbulente Strömungen aufstellte. Mit deren Hilfe und weiteren Verfeinerungen werden bis heute Computersimulationen für technische Strömungen, Wettervorhersagen und Klimamodelle aus empirischen Daten erstellt.
„Wir haben festgestellt, dass diese Skalierungsgesetze offenbar nur für stark idealisierte Strömungen gelten“, berichtet Christian Küchler, Erstautor der Studie. Bisher war man davon ausgegangen, dass sie universell gültig sind. Bereits zuvor konnten Messungen in Windkanälen bei geringeren Turbulenzgraden die theoretischen Vorhersagen nicht bestätigen, sie wurden jedoch meist auf die zu geringe Turbulenzstärke zurückgeführt. "In unserem einzigartigen Kanal können wir Gase bei hohen Drücken einsetzen und damit extrem hohe Turbulenzgrade erreichen", sagt Direktor Eberhard Bodenschatz, der den Kanal für seine Forschung entworfen hat.
Durch gezielte Erzeugung von Turbulenz und ein aktives Gitter, entwickelt am MPI-DS von Koautor Greg Bewley von der Cornell University, konnten die Forscher zeigen, dass selbst in der stärksten Turbulenz systematische Abweichungen von Kolmogorovs Vorhersagen auftreten. Dies impliziert, dass mittelgroße Wirbel in realen Strömungen nicht - wie seit 1941 vermutet - durch Energieübertragung vollständig von den sehr großen Wirbeln in einem System entkoppelt sind. Diese neuen Ergebnisse sind zudem universell und hängen nicht von der Stärke der Turbulenz im Kanal ab.
„Unser Windkanal erlaubt Messungen, die ansonsten nicht möglich wären“, erklärt Eberhard Bodenschatz, Direktor am MPI-DS die Besonderheit der Forschungseinrichtung. „Wir können so besser verstehen, wie sich turbulente Strömungen wirklich verhalten und auf dieser Grundlage neue Modelle entwickeln“, fährt er fort. Diese Experimente können zu einem besseren Verständnis der Turbulenz z.B. in technischen Strömungen oder der Atmosphäre beitragen. Dort ist die Wirkung der Turbulenz einer der größten Unsicherheitsfaktoren in modernen Klimamodellen und der Wettervorhersage.