Auf die Nachbarn kommt es an
Forschende entschlüsseln die Transportdynamik in porösen Medien
Nach welchen Gesetzen bewegen sich Chemikalien durch Filter? Öltropfen durch Gesteinsschichten? Blutzellen durch einen lebenden Organismus? Ein Forschungsteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) und der Technischen Universität München (TUM) hat herausgefunden, wie die Geometrie des Porenraumes den Transport durch Flüssigkeiten beeinflusst.
Nachdenken kostet Energie. Wenn Sie diesen Beitrag lesen, erweitern sich die Gefäße in Ihrem Gehirn, der Blutstrom verlangsamt sich, Ihre ‚Lese-Neuronen‘ bekommen damit mehr Glukose- und Sauerstoffmoleküle aus dem Blutstrom zugeteilt. „All das passiert ohne unser Zutun. Die Natur hat im Laufe der Evolution die Fähigkeit entwickelt, den Blutstrom exakt an den sich verändernden Bedarf von Organismen anzupassen“, erklärt Karen Alim, Professorin für Theorie biologischer Netzwerke an der TUM und Max-Planck-Forschungsgruppen-Leiterin am MPI-DS. „Unser Ziel ist es, die Physik, die diesem adaptiven Netzwerk zu Grund liegt, zu verstehen.“
Dem Forschungsteam, an dem auch Wissenschaftler:innen der Nottingham Trent University beteiligt waren, ist es jetzt gelungen, diesem Ziel einen großen Schritt näher zu kommen: Das neue Modell beschreibt erstmals, wie Stofftransport durch komplexe poröse Medien von deren mikroskopischen Strukturen kontrolliert wird.
Poröse Medien – in Organismen genauso wie in technisch hergestellte Materialien – zeichnen sich durch ein komplexes System von Hohlräumen aus, welches von Flüssigkeiten durchdrungen werden kann, die bestimmte Substanzen transportieren: In lebenden Organismen werden Billionen Zellen von kleinen und kleinsten Gefäßen versorgt; durch die Poren von Sandsteinen kann Wasser oder Öl zirkulieren; und Bioreaktoren und Filter enthalten poröse Katalysatormaterialien, die die Reaktionsfläche vergrößern.
Das Geheimnis der Mikro-Strömung
Um das strömungsphysikalische Prinzip zu analysieren, das diesen Bewegungen zu Grunde liegt, wählten Alim und ihr Team einen neuen, experimentellen Ansatz: Als Modell für poröse Medien wählten die Forschenden Mikrochips, bestückten sie mit winzigen, säulenförmigen Hindernissen und leiteten dann eine farbstoffhaltige Flüssigkeit durch die Chips. Untersucht wurden dabei drei verschiedene Hindernis-Geometrien: Im ersten Fall standen die Säulchen auf einem perfekt symmetrischen Grundraster, im zweiten Fall gab es leichte Abweichungen von dieser Symmetrie, im dritten Fall waren die Säulchen chaotisch verteilt. Gemessen wurde wie gleichmäßig die farbige Flüssigkeit sich im gesamten Porenraum ausbreitete.
„Das Ergebnis war eine echte Überraschung“, erinnert sich Erstautor Felix Meigel. Die Forschenden hatten erwartet, dass die Flüssigkeit den Chip mit der symmetrischen Anordnung am effizientesten durchdringt. Tatsächlich war der Farbstofftransport hier nur mäßig: Die Farbe breitete sich zwar entlang der Fließrichtung aus, drang aber nicht in die danebenliegenden Porenräume ein. Spitzenreiter war hingegen der Chip mit den leicht unregelmäßig angeordneten Hindernissen: Hier mäanderte die farbig markierte Flüssigkeit hin und her und füllte so schnell den kompletten Porenraum. Am schlechtesten schnitt der Chip mit den willkürlich angeordneten Hindernissen ab, dort bildeten sich Bereiche aus, die von dem Farbstoff gar nicht erreicht wurden, die Transport-Effizienz der Flüssigkeit war entsprechend schlecht.
Auf die Verzweigungen kommt es an
Mit Hilfe von Berechnungen gelang es den Wissenschaftler:innen jetzt, das Phänomen zu erklären: „Der Schlüssel zum Verständnis war das Netzwerk, das die Poren bilden“, sagt Alim. „Frühere Forschungen haben sich auf die einzelne Pore konzentriert, dadurch war es nicht möglich, das komplexe Gesamtsystem zu erklären. Wir konnten zeigen, dass es bei den Poren auf die Nachbarschaft ankommt.“ Wie sich eine Flüssigkeit ausbreitet, hängt demnach entscheidend von den Verzweigungen des Porenraumes ab, den Pore-Junction-Units. Sie steuern – wie die Verzweigungen in einem Rohrsystem – die Fließrichtung und -geschwindigkeit.
„Die Ergebnisse können jetzt helfen, Materialien zu entwickeln, in denen sich Flüssigkeiten optimal ausbreiten“, prognostiziert Alim: So lasse sich der Transport von Ionen in Batterien optimieren oder die Effizienz von Katalysatoren beziehungsweise Filtern steigern, die davon abhänge, wie gut die flüssigen Reagenzien die Katalysator- oder Absorbermaterialien umspülen. Und last but not least könne man mit Hilfe der neuen Erkenntnisse auch die Dynamik von Adernetzwerken in lebenden Organismen besser verstehen. In ihrem nächsten Projekt will die Physikerin untersuchen, wie Botenstoffe die Optimierung des Bluttransports steuern.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München