Sonne und Windkraft können das Stromnetz stabilisieren

In einem Stromnetz mit vielen kleinen Kraftwerken fällt seltener der Strom aus – neue Leitungen müssen allerdings sorgfältig geplant werden

7. September 2012

Wind, Sonne oder Biogas sollen eine immer größere Rolle für die Stromerzeugung spielen. Wenn immer mehr Windkraft- oder Photovoltaikanlagen elektrische Energie ins Stromnetz speisen, wird dieses feinmaschiger: statt weniger Großkraftwerke verbindet es immer mehr kleine dezentrale Kraftwerke mit den Waschmaschinen, Computern oder Industriemaschinen der Verbraucher. Anders als manche Experten befürchten, wird ein sehr feinmaschiges Stromnetz wahrscheinlich jedoch nicht empfindlicher für Stromausfälle. Skeptiker nehmen an, dass es deutlich schwieriger werden könnte, die vielen Generatoren und Maschinen der Verbraucher zu synchronisieren, sie also auf eine gemeinsame Netzfrequenz abzustimmen wie ein Dirigent die Musiker eines Orchesters in Gleichtakt bringt. Forscher des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen haben nun aber herausgefunden, dass ein "Dirigent" im Stromnetz der Zukunft überflüssig werden könnte: Dezentrale Erzeuger und die Verbraucher synchronisierten sich in einem simulierten Stromnetz selbst. Darüber hinaus weist die Simulation darauf hin, dass der Ausfall einer einzelnen Leitung in einem dezentral organisierten Stromnetz nicht so leicht zu einem Stromausfall im gesamten Netz führt und dass man beim Bau neuer Leitungen vorsichtig sein muss: sie können paradoxerweise zu einer Abnahme der Übertragungskapazität des Gesamtnetzes führen.

Die Energiewende als Netzwerkproblem: Derzeit versorgen große zentrale Kraftwerke vor allem ihre nähere Umgebung. Künftig sollen verstärkt kleine, dezentrale Wind- und Solaranlagen die Stromversorgung übernehmen. Dadurch ergibt sich eine neue Netzarchitektur, die anders als von manchen gefürchtet stabiler gegen Stromausfälle sein kann als die heutige.

Synchronisation, die ohne ein äußeres Signal oder einen Anführer entsteht, ist in der Natur weit verbreitet. Neuronen im Gehirn feuern oft im Gleichtakt, Leuchtkäfer synchronisieren ihr Blinken oder Grillen zirpen einhellig. Ein ähnliche Harmonie ist auch in Stromnetzen notwendig: Alle Generatoren und alle Strom verbrauchenden Maschinen am anderen Ende der Leitung müssen auf die Netzfrequenz von 50 Hertz abgestimmt sein. Die Generatoren großer Kraftwerke werden so geregelt, dass sie im Rhythmus mit dem Stromnetz bleiben. Das Netz wiederum zwingt den Waschmaschinen, Staubsaugern oder Kühlschränken am anderen Ende der Leitung seine Frequenz auf. So bleiben alle im Gleichtakt. Ohne diesen kommt es zu Kurzschlüssen oder Not-Ausschaltungen.

Im Zuge der Energiewende wird sich die Struktur des Stromnetzes aller Voraussicht nach jedoch ändern: Großkraftwerke, die ihre Umgebung beliefern, werden zu einem Gutteil ersetzt durch eine Vielzahl von Photovoltaik-Anlagen auf Dächern, Biogasanlagen auf Feldern sowie durch Windkraft-Anlagen auf Hügeln oder offener See. Die Leitungen werden also nicht mehr sternförmig vom Kraftwerk zu den Verbrauchern verlaufen, sondern eher wie ein feinmaschiges Fischernetz viele Erzeuger mit den Verbrauchern verbinden. Diese Vielzahl kleiner Generatoren in einen Gleichtakt zu zwingen, halten Experten für sehr schwierig. Es gilt sozusagen, ein riesiges Orchester mit Tausenden Mitgliedern statt eines Kammerorchesters zu dirigieren. Doch wie ein Team um Marc Timme vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen nun festgestellt hat, dürfte die Synchronisation in einem dezentralen Stromnetz sogar leichter sein, weil das Netz mit vielen Stromerzeugern von selbst einen gemeinsamen Rhythmus der Wechselspannung findet.

In einem dezentralen Netz synchronisieren sich Kraftwerke und Verbraucher selbst

Wie robust ist das Stromnetz: Am Beispiel des britischen Stromnetzes berechneten die Göttinger Forscher, was passiert, wenn einzelne Leitungen ausfallen. Wird eine der blauen Verbindungen unterbrochen, ist ein Stromausfall im ganzen Netz unwahrscheinlich. Für dunkelrote Trassen liegt die Wahrscheinlichkeit eines kompletten Zusammenbruchs bei fast 50 Prozent.

Die Göttinger Forscher haben ein solches feinmaschiges Netz von kleinen Erzeugern und Stromverbrauchern simuliert. Ihr Computermodell berechnet das Netz eines ganzen Landes (aus praktischen Gründen wählten die Forscher dafür Großbritannien) und berücksichtigt gleichzeitig die Schwingungen aller an das Netz angeschlossenen Generatoren und Motoren. Diese Verbindung aus Detailtiefe und Netzgröße ist neu. Zuvor war die Dynamik des mit 50 Hertz schwingenden Wechselstroms in der Regel nur für kleine Netze simuliert worden. Simulationen großer Netzwerke gab es zwar auch bereits, diese machten meistens aber nur Vorhersagen über statische Eigenschaften des Netzes, etwa wie viel Strom von A nach B übertragen wird. Die Schwingungen der Generatoren und Motoren ließen diese Modelle außen vor. „Unser Modell ist gerade aufwendig und umfassend genug, um kollektive Effekte in einem komplexen Netzwerk zu simulieren und, was ebenso wichtig ist: Es ist einfach genug, um die Effekte auch zu verstehen“, sagt Dirk Witthaut, Mitarbeiter des Teams.

Die Forscher simulierten sehr viele Netze mit jeweils anderer Struktur. Die Stromnetze bestanden also aus verschiedenen Mischungen von großen und kleinen Generatoren, sowie Leitungen unterschiedlicher Kapazitäten, also gewissermaßen Feldwege und Autobahnen für elektrischen Strom. So konnten die Wissenschaftler Unterschiede zwischen zentral und dezentral organisierten Stromnetzen ausmachen.

Das wichtigste Ergebnis: Wenn viele kleine Generatoren im Netz dominieren, synchronisieren sie sich von selbst untereinander und mit den Motoren. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Verbindungsleitungen eine gewisse Kapazität überschreiten. Witthaut erklärt den Effekt so: „In dem feinmaschigen Netzen ist jeder Motor mit jedem anderen verbunden. Dadurch 'spürt' sozusagen jeder Motor alle anderen Motoren und stellt sich auf eine Art Durchschnittsschwingung ein, die sich als Mittelwert der Schwingung aller anderen Motoren ergibt.“ Je größer die Kapazitäten der Verbindungsleitungen, desto besser funktioniert diese kollektive Einigung auf eine gemeinsame Schwingung.

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