Drei Otto-Hahn-Medaillen für Forscher des Göttinger Max-Planck-Campus
Thomas Lilienkamp vom Max-Planck-Institut (MPI) für Dynamik und Selbstorganisation sowie Sandra Schilbach und Agata Zielinska vom MPI für biophysikalische Chemie sind mit der Otto-Hahn-Medaille ausgezeichnet worden. Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ehrt damit jährlich bis zu 30 Forscherinnen und Forscher für ihre herausragenden Leistungen während der Promotion. Die mit 7.500 Euro dotierte Auszeichnung wurde am 26. Juni auf der Jahreshauptversammlung der Forschungsgesellschaft in Hamburg feierlich überreicht.
Theorie dient der Praxis – Komplexe Dynamik von Herzrhythmusstörungen verstehen
Für seine Dissertation auf dem Gebiet der Herzforschung am MPI für Dynamik und Selbstorganisation erhält der 31-jährige theoretische Physiker Thomas Lilienkamp die Otto-Hahn-Medaille der MPG. Die Medaille wird Lilienkamp „für seine Untersuchungen zur Dynamik von Herzarrhythmien und die Entdeckung einer charakteristischen Endphase chaotischer Transienten in erregbaren Medien und anderen nichtlinearen Systemen" verliehen.
Am plötzlichen Herztod sterben in Deutschland jährlich mehr als 100.000 Menschen. Er ist die Folge krankhafter Kammerarrhythmien aufgrund instabiler elektrischer Wellenfronten im Herzmuskel. Die Ursachen dieser lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen sind noch weitgehend unverstanden. Thomas Lilienkamp forscht in der Gruppe Biomedizinische Physik von Stefan Luther und hat mithilfe detaillierter Simulationen erregbarer Medien das Verständnis der Dynamik von Herzarrhythmien und ihrer experimentellen Beobachtbarkeit und Kontrollierbarkeit erheblich erweitert.
Lilienkamp zeigt in seiner Dissertation, wie sich die hierbei auftretenden Komplexitätsschwankungen im EKG widerspiegeln und eröffnet so einen neuartigen Ansatz zur Diagnose und Therapie. Das dem Kammerflimmern zugrundeliegende raumzeitliche Chaos tritt oft nur während eines begrenzten Zeitraums auf, dessen Länge im Fall der Herzdynamik über Leben und Tod entscheidet. Die Dauer dieser chaotischen Episoden ist jedoch bisher nicht vorhersagbar. Durch die systematische Untersuchung der Auswirkung lokaler Störungen identifizierte Thomas Lilienkamp erstmals eine charakteristische terminale Phase der chaotischen Episoden. Diese Entdeckung eröffnet eine neue Perspektive zur Vorhersage und Kontrolle chaotischer Transienten, bis hin zu alternativen Methoden zur Terminierung von Arrhythmien.
Thomas Lilienkamp studierte Physik an der Universität Bielefeld und Bergen (Norwegen), bevor er 2014 nach Göttingen kam. Für seine Dissertation arbeitete er in der Forschungsgruppe Biomedizinische Physik von Stefan Luther am MPI für Dynamik und Selbstorganisation. Seit 2018 ist er dort als Postdoktorand tätig.
Wie die Kopiermaschine der Zelle startet
Unser Körper besteht aus Milliarden von Zellen. Doch egal, ob Haut-, Muskel- oder Leberzelle – sie alle enthalten das gleiche Erbmaterial in Form von DNA, auf der unsere Gene verschlüsselt sind. Die DNA ist Bestandteil der Chromosomen und enthält alle Informationen, die ein Lebewesen für die Entwicklung und das Überleben benötigt. Je nach Typ und Funktion sind allerdings nur diejenigen Gene angeschaltet und aktiv, die auch vor Ort gebraucht werden. Um ein bestimmtes Gen anzuschalten, muss dieses in einem komplexen Prozess zunächst aktiviert werden.
In ihrer Doktorarbeit hat Sandra Schilbach den ersten Schritt bei diesem Vorgang untersucht – die sogenannte Transkription. Dabei wird die DNA mithilfe einer zellulären „Kopiermaschine“ in eine Arbeitsanleitung umgeschrieben, nach der die Proteine hergestellt werden. Diese Proteine verrichten nicht nur lebenswichtige Aufgaben in der Zelle. Sie arbeiten häufig auch im Komplex als molekulare „Nanomaschinen“ eng zusammen. Auch bei der zellulären Kopiermaschine gibt es dieses Teamwork. Obwohl bereits seit Langem erforscht wird, wie die Transkription abläuft, ist die Funktionsweise und die Regulation vieler daran beteiligter Schlüsselproteine noch immer unbekannt. Schilbach ist es in ihrer Doktorarbeit gelungen, die molekulare Struktur von Proteinkomplexen aufzuklären, die zu Beginn der Transkription entscheidend sind. Sie konnte zeigen, wie strukturelle Veränderungen dieser Komplexe die Transkription aktiv starten.
Sandra Schilbach begann ihre wissenschaftliche Laufbahn an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einem Studium der Chemie und Biochemie. 2014 wechselte sie an das MPI für biophysikalische Chemie und forschte für ihre Doktorarbeit in der Abteilung Molekularbiologie von Max-Planck-Direktor Patrick Cramer. Seit Abschluss ihrer Promotion Anfang 2018 arbeitet sie dort als Postdoktorandin.
Was Chromosomen anfällig macht für Fehler
In ihrer Doktorarbeit hat Agata Zielinska untersucht, wie eine befruchtungsfähige Eizelle durch eine spezialisierte Zellteilung – Meiose genannt – entsteht. Dabei wird der Chromosomensatz der Eizelle halbiert und nur eine Hälfte verbleibt in der reifen Eizelle. Fehler bei diesem Prozess führen zu Eizellen mit überzähligen oder fehlenden Chromosomen. Werden diese befruchtet, stirbt der Embryo häufig ab oder zeigt Auffälligkeiten wie das Down-Syndrom. Über viele Details bei der Chromosomen-Verteilung wissen Forscher bisher jedoch nur wenig.
Agata Zielinska konnte in ihrer Doktorarbeit in der Abteilung von Max-Planck-Direktorin Melina Schuh nachweisen, dass es gerade bei älteren Frauen während der Reifung immer wieder zu Fehlern kommt, weil Chromosomen auseinanderfallen. Die Zellbiologin konnte sichtbar machen, dass sich die molekulare Maschinerie der Eizelle mit zunehmendem Alter der Frau verändert. In der Folge binden zusammengehörige Chromosomen in unreifen Eizellen bei Frauen über 35 Jahren schlechter aneinander als bei jüngeren.
Agata Zielinska studierte Medizin mit integriertem Bachelor-Abschluss in Entwicklungsbiologie und naturwissenschaftlicher Promotion in Zellbiologie am Trinity College der University of Cambridge (Großbritannien). Nach den ersten vier Studienjahren kam sie 2014 für ihre Promotion in das Labor von Melina Schuh, am MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge (Großbritannien). Nach der Berufung von Schuh an das MPI für biophysikalische Chemie wechselte Zielinska mit ihr nach Göttingen und schloss ihre Doktorarbeit 2018 ab. Zurück in Cambridge beendet sie derzeit die klinische Phase im letzten Jahr ihres Medizinstudiums. (jp/ch)