Was haben Turbulenzen und Epidemien gemeinsam?
Professor Björn Hof und Kollegen entschlüsseln 100 Jahre alte Frage nach der Beschaffenheit des Turbulenzübergangs - Einsatz der Turbulenz ist ein gerichteter Perkolations-Phasenübergang
Strömungen von Gasen und Flüssigkeiten treten in zwei Zustände auf: entweder ist die Bewegung wohlgeordnet „laminar“ oder stark verwirbelt „turbulent“. Von simplen Scherströmungen wie denen durch Rohre oder Kanäle ist wohlbekannt, dass bei Erhöhung der Durchflussgeschwindigkeit die laminare Bewegung durch Turbulenz ersetzt wird. Wie genau dieser Übergang vonstattengeht, blieb allerdings seit den ersten Studien im 19. Jahrhundert ein Rätsel.
IST Austria Professor Björn Hof und seine Kollegen vom Max Planck Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg haben in der Vergangenheit bereits wesentlich zu einer Antwort dieser Fragestellung beigetragen. In ihrer neusten Veröffentlichung in Nature Physics im Februar 2016 konnten sie nun schließlich zeigen, dass der Umschlag zwischen den Strömungszuständen exakt als Phasenübergang charakterisiert werden kann, was sie am Beispiel der sogenannten Couette-Strömung demonstrierten. Bei dieser Strömung handelt es sich um eine Flüssigkeitsschicht zwischen zwei parallelen Wänden, die sich in entgegengesetzte Richtung bewegen.
Wie auch in Rohren oder Kanälen treten hier Turbulenzen zuerst in Form von lokalisierten Flecken auf, die scheinbar friedlich mit den laminaren Regionen koexistieren. Beobachtungen über äußerst lange Zeiträume offenbaren allerdings, dass dieser friedliche Schein trügt und ein ständiger Wettbewerb zwischen den beiden Zuständen besteht. Bei Geschwindigkeiten unterhalb eines kritischen Schwellenwertes gewinnt letztendlich immer die laminare Strömung. Oberhalb setzt sich allerdings die Turbulenz durch und kann nicht mehr vollständig ausgelöscht werden. Hier besteht die Strömung nun dauerhaft aus einem sich ständig ändernden irregulären Muster aus turbulenten und laminaren Regionen.
Ein qualitativ ähnlicher Wettbewerb zwischen einer aktiven und einer passiven Phase ist aus simplen physikalischen Modellen bekannt, insbesondere dem der gerichteten Perkolation. Dieses Modell soll viele Kontaktprozesse in der Natur wie beispielsweise die Ausbreitung von Epidemien oder auch von Waldbränden beschreiben. Überraschenderweise sollen all diese jeweils unterschiedlichen Phänomene am Ausbreitungsschwellenwert durch dieselben drei Zahlen charakterisiert werden. Diese drei kritischen Exponenten beschreiben die resultierenden Koexistenz-Muster.
Die turbulenten Couette-Experimente konnten diese vorhergesagten kritischen Exponenten präzise bestätigen. Abgesehen davon, dass die Frage nach der Natur des Turbulenzübergangs für diesen Strömungstyp schließlich beantwortet wurde, ist es auch eine der ersten experimentellen Bestätigungen der Perkolationsexponenten überhaupt. Hof dazu: „Wir glauben, dass auch in anderen Scherströmungen das Einsetzen von Turbulenz in diese Universalitätsklasse fällt. Dies muss aber erst in künftigen Experimenten überprüft werden.“