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Grundlagenforschung des Gehirns in der Anwendung - Göttinger Bernstein Center for Computational Neuroscience feiert 10-jähriges Bestehen mit Wissenschaftsministerin Dr. Gabriele Heinen-Kljajiæ

9. Februar 2016

Am Mittwoch, den 10. Februar 2016 spricht die Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur Dr. Gabriele Heinen-Kljajić im Rahmen des Festaktes zum 10-jährigen Bestehen des Bernstein Center for Computational Neuroscience (BCCN) Göttingen. Anlässlich des Jubiläums sagt Heinen-Kljajić: „Das BCCN ist eine wichtige Säule für den Wissenschaftsstandort Niedersachsen. Es hat sich in den vergangenen Jahren erfolgreich zu einem führenden Zentrum für die Dynamik biologischer Netzwerke in Deutschland entwickelt.“
Bei einem Presserundgang vor dem Festakt (16:30 Uhr) erfährt die Ministerin mehr über die innovative Grundlagenforschung des Zentrums und die daraus hervorgegangenen medizinischen und technologischen Entwicklungen. Neben einem Patienten mit einer prothetischen Hand wird sie unter anderem auch Amos kennenlernen, einen sechsbeinigen Laufroboter, der durch eine autonome Kontrolle in der Lage ist, Hindernisse zu überwinden. Am Göttinger Bernstein Zentrum gehen Wissenschaftler verschiedener Disziplinen seit über 10 Jahren gemeinsam der Frage nach, wie das Gehirn funktioniert. Computational Neuroscience – computergestützte Neurowissenschaften - ist ein junges Forschungsgebiet, das durch mathematische Modelle und Computersimulationen im Zusammenspiel mit biomedizinischen Experimenten die Dynamik und Anpassungsfähigkeit des Nervensystems zu entschlüsseln versucht. Im Göttinger Bernstein Zentrum, das international eine Führungsrolle in diesem Forschungsbereich einnimmt, kooperieren die Göttinger Max-Planck-Institute für Dynamik und Selbstorganisation, experimentelle Medizin und für biophysikalische Chemie, die Fakultäten Physik, Biologie, Medizin und Mathematik der Universität Göttingen, das Deutsche Primatenzentrum sowie das Medizintechnikunternehmen Otto Bock HealthCare GmbH.

Das Denken verstehen - Von der molekularen Ebene bis zur komplexen Handlung

Unser Gehirn ist enorm anpassungsfähig. Mit jeder neuen Erfahrung verändert es sich und reagiert auf die nächste Situation ein wenig anders. Jede Wahrnehmung und jeder Handlungsplan wird im Gehirn in einem komplexen räumlichen und zeitlichen Muster neuronaler Aktivität verschlüsselt. An jedem Gedanken, jedem Bild und jeder Erinnerung sind jeweils ganz unterschiedliche Hirnregionen beteiligt. Wie arbeiten verschiedene, räumlich getrennte Strukturen des Nervensystems, wie Hirngebiete, Nervenzellen oder Moleküle zusammen, um bestimmte Leistungen des Gehirns hervorzubringen? Wie ergibt sich die Anpassungsfähigkeit des Gehirns aus dem kooperativen Zusammenspiel seiner Teile? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die theoretischen Neurowissenschaftler des Bernstein Zentrums. Um besonders kooperative Mechanismen zu entschlüsseln, untersuchen sie verschiedene Aspekte von der molekularen Ebene über das Zusammenspiel einzelner Zellen bis hin zur Kooperation verschiedener Hirnregionen bei komplexen Handlungen. Unter anderem verfolgen sie, wie das Gehirn Bewegungen plant.

Grundlagenforschung findet Anwendung in der Praxis - Neuroprothetik bringt enorme Erleichterung für Patienten

Im Bernstein Zentrum Göttingen wenden Wissenschaftler zudem neue experimentelle Methoden an, mit denen die Aktivität einer großen Anzahl von Nervenzellen gleichzeitig und sehr genau gemessen werden kann. Dabei entstehen hochkomplexe Datensätze, die mit Verfahren aus der nichtlinearen Dynamik analysiert werden. „Methoden der nichtlinearen Dynamik und theoretischen Physik auf Fragen der Neurowissenschaften anzuwenden, erweist sich als sehr vielversprechend.“, erklärt Prof. Dr. Fred Wolf, Leiter des Bernstein Zentrums Göttingen sowie Leiter der Forschungsgruppe „Theoretische Neurophysik“ am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. "Aus unserer Forschung ergeben sich Anwendungen im medizinischen Bereich, beispielsweise bei der Entwicklung von Prothesen mit intelligenter Bewegungskontrolle sowie in der Robotik."
Ihre Untersuchungen führen die Göttinger Bernstein-Forscher anhand verschiedener Robotersysteme aus, wie dem KUKA Roboter-Arm, der die menschliche Handschrift imitiert, sowie dem sechsbeinigen insektenähnlichen Laufroboter AMOS, welcher autonom unterschiedliche Verhaltensweisen erzeugen kann. Ein weiteres Forschungsfeld des Bernstein Zentrum Göttingen findet ihre Anwendung in der Neuroprothetik. Prothesen sollen den Betroffenen den Alltag erleichtern. In der Regel werden die Signale von verbleibenden Muskeln über Elektromyographie (EMG) abgenommen, verarbeitet und in die Prothese eingespeist. Diese Methode funktioniert zuverlässig und ist in sehr viele Prothesen integriert. Viele Patienten empfinden es als Mangel, dass die Bedienung der Prothesen dabei nicht besonders natürlich ist. Außerdem spüren sie oftmals nicht, wann ihre prothetische Hand einen Gegenstand berührt. Aus diesem Grund zielen neuere Forschungsansätze des BCCN darauf ab, genau diese Punkte zu verbessern, um die Lebensqualität von Amputierten zu steigern und ihnen das Gefühl zurückzugeben, eine eigene Hand zu besitzen. Die Möglichkeiten, die eine solche Hand im Alltag bietet, zeigt ein Träger dieser sogenannten Michelangelo-Hand im Vorfeld des Festaktes.

Exzellente Nachwuchsschmiede und großes Netzwerk

Das Göttinger Bernstein Zentrum bildet auch eine exzellente Nachwuchsschmiede, denn schon zum dritten Mal kam der Träger des seit 2006 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vergebenen Bernstein Preises aus dem beteiligten Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Mit 1,25 Millionen Euro ist der Bernstein Preis einer der höchstdotierten Nachwuchsförderpreise weltweit.
Das Bernstein Zentrum Göttingen wurde 2005 von Prof. Dr. Theo Geisel, Direktor der Abteilung für Nichtlineare Dynamik am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und Direktor des Instituts für Nichtlineare Dynamik der Georg-August-Universität Göttingen gegründet. Es ist ein Kernstrukturelement des bundesweiten Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience. Die Bernstein Initiative wurde 2004 vom BMBF ins Leben gerufen und umfasst mittlerweile über 200 Arbeitsgruppen. Ziel der Förderinitiative ist es, die neue Forschungsdisziplin in Deutschland nachhaltig zu etablieren. Inzwischen hat sich das Netzwerk zum größten Forschungsnetz im Bereich der computergestützten Neurowissenschaften mit weltweiter Vorbildfunktion entwickelt. Bisher sind 180 Millionen Euro Bundes- und Ländermittel in das bundesweite Netzwerk geflossen. Der Standort Göttingen hat davon über 30 Millionen akquirieren können.

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