Contrapunctus super S-F-B
Im Januar gelangte ein musikhistorisch interessantes Dokument in meine Hände, das ich den Besuchern unserer Webseite nicht vorenthalten möchte, da es doch entfernt mit unserer Arbeit zu tun hat. Nach dem Fall der Mauer 1989 hatte ich gelegentlich Kontakt zu einem Cousin in der ehemaligen DDR, der heute Dozent an der musikwissenschaftlichen Fakultät an der FU Berlin ist. Als Universitätskollegen sprachen wir damals öfter über die verschiedenen Forschungsförderungsmodelle in beiden Teilen Deutschlands. Besonders intensiv diskutierten wir die bedeutende Rolle, die die von der DFG finanzierten Sonderforschungsbereiche (SFB) spielen, die ja auch für uns Mitglieder der Max-Planck-Gesellschaft in unseren Kooperationen mit Universitäten eine herausragende Stellung einnehmen. Seither ist das Thema SFB ein Muss bei unseren gelegentlichen Zusammentreffen.
Im letzten Jahr nun hat mein Cousin im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Bach-Familie herausbekommen, dass Johann Sebastian Bach im Jahre 1718 auf einer Reise, die ihn u.a. nach Schwerin und Neustrelitz führte, eine bis dato unbekannte Liaison mit der jungen Frau eines wohlhabenden Kaufmanns (Johann Friedrich Sachsse, ?-1754) gehabt haben muss. Aus dieser ging ein Sohn mit Namen Sebastian Friedemann hervor, der am 23. Juni 1719 in Pasewalk (Ueckermark) geboren wurde. Wie der leibliche Vater mit einem außergewöhnlichen musikalischen Talent ausgestattet, wurde er später zunächst Organist in seiner Geburtsstadt an der dortigen Nikolaikirche, später Kantor und Organist an der Stadtkirche zu Neustrelitz unmittelbar nach deren Gründung im Jahre 1768. Um die gute Erbschaft des unehelichen Kindes nicht zu gefährden, hat ihn seine Mutter erst deutlich nach dem Tode ihres (offenbar ahnungslosen) Ehemanns im Geheimen über seine wahre Identität aufgeklärt. Dies geht aus einem Briefwechsel zwischen Mutter und Sohn hervor. Sebastian Friedemann muß tief bewegt gewesen sein, denn er kannte die Arbeiten seines Kollegen Johann Sebastian Bach natürlich gut und schätzte sie außerordentlich. Jedenfalls hat er, dem Geist seiner Zeit folgend, anläßlich dieser Wendung eine Rätselkomposition geschaffen: es handelt sich um eine Fuge über die Tonfolge S-F-B (Sebastian Friedemann Bach), also seine 'eigentlichen' Initialen! Der in stilistischer Anlehnung an Johann Sebastian Bach gehaltene "Contrapunctus super S. F. B." entstand wahrscheinlich im Jahre 1757.
Von der Gleichheit der Akronyme für "Sebastian Friedemann Bach" und "Sonderforschungsbereich" amüsiert, schickte mir mein Cousin eine Fotokopie des Stückes zu (Ein sonderbarer Zufall war ihm dabei garnicht aufgefallen: das Thema der Fuge setzt nach dem Themenkopf S-F-B mit den Tönen D-F-G fort!). Da die Schrift von Sebastian Friedemann Sachsse alias Bach recht gut leserlich ist, war es für mich kein Problem, das Stück in den Noteneditor capella einzugeben und so in ein gutes Druckbild zu bringen. Dieser Editor ermöglicht zudem das Exportieren als MIDI-file und damit das Abspielen der Musik direkt am Computer. Wenn auch die Tonqualität der vom Rechner erzeugten Klänge natürlich zu wünschen übrig läßt, musste ich beim Hören doch schmunzeln, denn mit etwas Phantasie konnte ich die Dramatik der Einrichtung des ersten SFB's 'hineinhören', an dem ich aktiv mitgewirkt hatte: das etwas naive erste Zusammenfinden unter einem gemeinsamen Thema, die unangenehmen Fragen der Gutachter beim Beratungsgespräch (erste Engführung), die Ratlosigkeit danach, das neue Mut Fassen zum Hauptantrag, die feierliche Begehung (choralartige Durchführung) und schließlich die erleichterte Hinwendung zum fröhlichen Forschen! Ist es nicht eine Ironie der Musikgeschichte, dass dieses Kuriosum pünktlich zum 40. Jubuiläum des Förderinstruments SFB aufgetaucht ist?
Stephan Herminghaus
4/2009
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