Dorfläden, maßgeschneidert

Dorfläden, maßgeschneidert

Ein exakt und bedarfsgerecht belieferter Dorfladen, mit genau den richtigen Waren zur richtigen Zeit, hat das Potential, das Aufkommen von Individualverkehr im ländlichen Raum deutlich zu mindern. Das vorliegende Diskussionspapier beschreibt  ein Konzept, mit dem dies möglich sein sollte, und zwar unter Einbindung moderner Kommunikationstechnologie und in Synergie mit modernen Transportsystemen, wie etwa EcoBus.      

Die sogenannten Dorfläden sind ein schon seit vielen Jahren verwendetes Konzept zur Wiederbelebung der im ländlichen Raum oftmals nicht mehr existenten Begegnungsräume und gleichzeitig der Reduzierung der zur Daseinsvorsorge nötigen Wegstrecken. Der Grundgedanke besteht darin, daß es den auf dem Land lebenden Menschen ermöglicht werden soll, ihren für den Lebensunterhalt wesentlichen Bedarf vor Ort, d.h. in fußläufig erreichbarer Umgebung zu decken, anstatt mit dem Privat-PKW ins nächste Grund-, Mittel- der Oberzentrum fahren zu müssen.

Obwohl Umfragen die hohe Beliebtheit der Dorfläden bestätigen, können diese ihre Mission nur zu einem kleinen Teil erfüllen. Warum das so ist, läßt sich an einem einfachen Beispiel zeigen. Natürlich hält der Dorfladen stets einige oft benötigte Lebensmittel vor. Nun erwarte ich aber am Wochenende Besuch und möchte ein Tiramisu machen. Dafür brauche ich Mascarpone und meine Lieblingssorte Espresso. Beides ist im Dorfladen nicht zu haben; und das Mädchen von nebenan mag sich neuerdings nicht mehr mit dem normalen Kugelschreiber in der Klasse sehen lassen, sondern will auch den coolen Frixxion-Pen, den jetzt alle haben. Wollte der Dorfladen diese (und viele weitere, sehr ähnliche) Wünsche alle erfüllen können, bräuchte er nicht nur ein riesiges Lager; es wäre auch kaum kalkulierbar, welche Stückzahl jeweils vorgehalten werden muß --- was notwendig zu Schäden am Material führt: Lebensmittel über Verfallsdatum, ausgetrocknete Stifte etc.. Deshalb müssen Dorfläden sich in ihrer Sortimentwahl auf die unbedingt notwendigen, von allen etwa gleichermaßen nachgefragten Waren konzentrieren. Die Folge ist, daß die Dorfbewohner kaum weniger Fahrten in die Zentren machen als ohne Dorfladen, da die Zahl der Wünsche und Bedarfe, die sich aus dem Dorfladen nicht decken lassen, nach wie vor beträchtlich ist.

Entwicklung des Konzepts

Bei der Entwicklung der wesentlichen Ideen bleiben wir zunächst in der Vorstellung einer ländlichen Gegend um ein Zentrum (das kann ein Grundzentrum sein, das Konzept läßt sich aber auch auf Mittel- und Oberzentren anwenden). Die Aufgabe ist, Waren aus dem Zentrum bedarfsgerecht in die Dörfer zu transportieren, ohne daß dieser Transport durch die dort wohnenden Endverbraucher mit deren Privatfahrzeugen bewerkstelligt werden muß.

Es bietet sich an, hierfür das Internet zu nutzen, wie dies bereits vielfach zur regionalen Versorgung mit Waren getan wird (siehe z.B. RegioShop Tölz und RegioShop Chiemgau). Es wird also eine Webseite aufgebaut, auf der in übersichtlicher Weise die Angebote des teilnehmenden Einzelhandels im Zentrum einsehbar und bestellbar sind. Die Bezahlung findet wie üblich bargeldlos statt, ebenfalls per Internet. Ist die Ware bestellt, wird sie im Einzelhandelsgeschäft von dortigem Personal in geeignete, in ihren Abmaßen genormte Boxen verpackt und mit einem Aufklebeetikett versiegelt, auf dem der Zielort (d.h. das Zieldorf) sowohl in Klartext als auch in QR-Code vermerkt ist. In unserm obigen Beispiel würden also z.B. bei Wiederholdt zwei Frixxion-Pens jeweils mit einem automatisch ausgedruckten Papieretikett versehen, das den Empfänger ausweist und in eine genormte Box gelegt. Gleichzeitig würden ein paar hundert Meter weiter bei Alnatura zwei Packungen Mascarpone und das bestellte Espressopulver in einer ähnlichen Box verschwinden. Es sei darauf hingewiesen, daß das Heraussuchen der Ware nicht mehr Zeit in Anspruch nimmt als das Eintippen an der Kasse plus evtl. erforderliche Kundenberatung.

Jede Box löst nun eine Route aus, ganz ähnlich wie eine Fahrtanfrage beim EcoBus, nur mit erheblich größeren Toleranzen in der Wartezeit. Die Route der Frixxion-Pens beginnt bei Wiederholdt und endet, sagen wir, im Dorfladen von Güntersen. Die Box von Alnatura löst eine Route aus, die dort beginnt und ebenfalls im Dorfladen Güntersen endet. Der Routenalgorithmus kombiniert nun diese beiden Routen, indem er sie einem Fahrzeug zuweist. Dieses Fahrzeug beginnt seine Fahrt, indem es zu Alnatura fährt. Der Fahrer nimmt die dort wartende Box mit den Lebensmitteln entgegen und verstaut sie in einem genormten Container, in den die Boxen perfekt hineinpassen und der mit dem Fahrziel Güntersen versehen ist. Es befinden sich in dem Fahrzeug bereits weitere Container mit anderen Fahrzielen. Anschließend fährt er zu Wiedrholdt, nimmt dort die zweite Box entgegen und verstaut sie ebenfalls in dem für Güntersen bestimmten Container. Beim Verlassen der Stadt hält er an der Kasseler Landstraße bei Sound and Vision an und lädt eine weitere Box, die einen neuen Saitensatz für einen Gitarristen in Löwenhagen enthält. Sie wird in dem Container verstaut, der mit dem Ziel „Dorfladen Löwenhagen“ versehen ist. Für den Fall, daß sehr viele Boxen geladen werden müssen, oder auch für den Betrieb mit autonomen Fahrzeugen, läßt sich das Einsortieren in die Container ohne weiteres mit handelsüblichen Robotersystemen anhand der QR-Codes auf den Boxen bewerkstelligen.

Das Fahrzeug fährt nun nacheinander die Dorfläden in Güntersen und Löwenhagen an und lädt jeweils lediglich den entsprechenden Container am Dorfladen aus. Das geht sehr schnell und läßt sich bei autonomen Fahrzeugen auch ohne weiteres durch einfache Robotik automatisieren. Anschließend hat das Personal des Dorfladens Zeit, die Container zu leeren und die Waren zur Abholung bereitzulegen. Gleichzeitig mit dem Eintreffen der Container werden die Kunden per SMS benachrichtigt, daß ihre Ware am Dorfladen eingetroffen ist. Auch die Erhaltsquittierung (sofern nötig) kann nun in aller Ruhe im Dorfladen erfolgen, assistiert durch das dortige Personal.

Kombination mit anderen Systemen

Aus den obigen Ausführungen dürfte bereits klar geworden sein, daß sich das hier entwickelte Transportsystem gut eignen würde, um die Transportfahrzeuge beispielsweise des EcoBus-Systems in Zeiten geringerer Auslastung für den Warentransport einzusetzen. Die wesentliche organisatorische Aufgabe besteht auch hier in der Kombination von Routen verschiedener Gegenstände (hier: der Boxen), wobei die Wartezeiten wesentlich größer sein dürfen als beim Personentransport und die Zahl der Halte wegen der Bündelung an den Dorflädenerheblich kleiner ist. Ein besonderer Vorteil liegt noch darin, dass Fahrzeuge, die für den öffentlichen Personennahverkehr ausgestattet sind, auch Rollstuhlfahrergerecht sein sollten. Das erleichtert dann ebenfalls das Ein- und Ausladen von Rollcontainern.

Konkurrenz mit anderen, bereits etablierten Transportsystemen ist kaum zu befürchten. Das Marktsegment beispielsweise von DHL (auch UPS oder DPD) ist insofern ein ganz anderes, als deren Fahrzeuge grundsätzlich über die Postdienste bestückt werden. Andererseits könnten sie aber sehr interessierte Partner sein, da sich, sollte die Sendungsannahme und Empfangsquittierung am Dorfladen einmal eingespielt sein, für sie die Möglichkeit eröffnet, einen günstigeren Pakettarif anzubieten, bei dem der Empfänger das Paket nicht nach Hause geliefert bekommt sondern im Dorfladen abholt. Das würde beim Zusteller enorm an Fahrerzeit für Kundenaufsuchung und Quittierungsvorgänge einsparen. In der Tat haben die Firmen Hermes und DPD bereits angekündigt (FAZ vom 1.12.2017), dass Paketempfänger in absehbarer Zeit mit Aufpreisen für Hauslieferungen rechnen müssen. Für den Empfänger würde sich neben dem günstigeren Tarif auch der Vorteil ergeben, daß er das Verpackungsmaterial gleich am Dorfladen im Altpapier- bzw. Verpackungsmüll-Container entsorgen kann und nicht die (teuren!) heimischen Abfalltonnen damit beaufschlagen muß.

Schließlich sollte überlegt werden, eigene Bestückungszentren für die Fahrzeuge einzurichten, die neben dem niedergelassenen Einzelhandel ganz dem Direktversandt gewidmet sind. So können die Waren in Umgehung der teuren Ladenmiete und mit weniger Personal, d.h. im Wesentlichen zu Großhandelspreisen, in denselben Markt eingespeist werden. 

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