Die Evolution als Computer-Ingenieur

Neuer bundesweiter Forschungsverbund zur Evolution des Nervensystems

12. April 2018

Fred Wolf vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Leiter des Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience (BCCN) Göttingen sowie designierter Direktor des Campus-Instituts Dynamik biologischer Netzwerke wird Koordinator eines neuen DFG Schwerpunktprogramms zum Thema „Evolutionäre Optimierung neuronaler Systeme“. Die Einrichtung des neuen Programms hat der Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf seiner diesjährigen Frühjahrssitzung beschlossen. Das Programm ist auf sechs Jahre angelegt und wird Anfang 2019 beginnen. Es ist eines von 14 Programmen, die die DFG aus 53 Initiativen ausgewählt hat und in den kommenden drei Jahren mit einem Gesamtvolumen von 80 Millionen Euro fördern wird. Das neue, gemeinsam vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation sowie der Universität und der Universitätsmedizin Göttingen getragene Campus-Institut Dynamik biologischer Netzwerke wird die übergreifenden Aktivitäten des Forschungsverbundes koordinieren.

Das neue Schwerpunktprogramm (SPP) ist das weltweit erste koordinierte Forschungsprogramm, das systemische und theoretische Neurowissenschaft mit Evolutions- und Entwicklungsbiologie zusammenführt, um die Grundprinzipien der Hirnevolution aufzuklären. Ziel des SPP ist es zu entschlüsseln, wie sich die Netzwerke und Algorithmen biologischer Nervensysteme im Laufe der Evolution herausgebildet haben. Im Kern wird es darum gehen die Evolutionstheorie mit Grundprinzipien der Informationsverarbeitung zu verbinden. „Es ist aufregend zu sehen, dass es nun möglich wird, die Frage nach der Leistungsfähigkeit biologischer Nervensysteme aus einer konsequent evolutionären Perspektive zu stellen“ so Wolf. Leitfragen wie: Wie nah kommen biologische Nervensysteme absoluten Leistungsgrenzen der Informationsverarbeitung? oder Welche genetischen Veränderungen liegen der Optimierung ihrer Leistungsfähigkeit zugrunde? sollen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in disziplinübergreifenden Projekten bearbeiten, um Antworten auf Kernfragen der Hirnevolution zu finden.

Hohe Innovationskraft – hohes Zukunftspotential

Das neue DFG Schwerpunktprogramm kann in Deutschland auf die starke Infrastruktur des Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience aufbauen, die im vergangenen Jahrzehnt mit Unterstützung des BMBF geschaffen wurde. „Bei der Auswahl von SPP Initiativen legt der Senat der DFG höchsten Wert auf Innovationskraft und Zukunftspotential der geförderten Forschungsansätze.“ erläutert Eberhard Bodenschatz, Geschäftsführender Direktor des Max Planck Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Die Präsidentin der Universität Göttingen, Ulrike Beisiegel, ergänzt „Das Campus Institut Dynamik biologischer Netzwerke wird durch das neue DFG-Schwerpunktprogramm auch bundesweit eine sichtbare Rolle für die Entwicklung von Zukunftsthemen der Lebenswissenschaften spielen.“ International vernetzt ist das neue Programm nicht nur durch die Kooperationspartner des Bernstein Netzwerks. Das Programm wurde zusammen mit internationalen Experten erarbeitet und wird von einem international besetzten wissenschaftlichen Beirat für die Dauer der Laufzeit unterstützt. Die Initiative wurde federführend von Marion Silies und Fred Wolf (beide BCCN Göttingen und Campus Institut) entwickelt. Neben Ihnen gehören dem Steuerungsausschuss des Schwerpunktprogramms die Leiter zweier weiterer Bernstein Zentren (Michael Brecht, BCCN Berlin; Matthias Bethge, BCCN Tübingen) sowie Joachim Wittbrodt vom Centre for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg an.

Darwins Evolutionstheorie weiterentwickeln

Die Grundlagen der modernen Hirnforschung fanden ihren Anfang zu Beginn des 20. Jahrhundert mit Forscherpersönlichkeiten wie Ramon y Cajal, Korbinius Brodmann und Ludwig Edinger. Für ihre Generation war Darwins Evolutionstheorie erstmals Teil der wissenschaftlichen Bildung und bereits sie stellten sich die Frage wie hochentwickelte Gehirne aus einfacheren Vorformen entstehen konnten. Seit kurzem eröffnen nun Fortschritte der Neurotechnologie, Entwicklungsbiologie und theoretischen Neurowissenschaft neue umfassende Zugänge zur Funktionsweise und Evolution des Gehirns. Computergestützte Optimierungsverfahren sind mittlerweile in der Lage für viele biologische neuronale Systeme präzise Vorhersagen über ideale Schaltkreisstrukturen und theoretische Leistungsgrenzen zu ermitteln. Experimente können inzwischen die Aktivität Tausender Nervenzellen gleichzeitig aufzeichnen und die Struktur ihrer Netzwerke mit nie dagewesener Genauigkeit kartieren. Genomische Daten werden in den kommenden Jahren erlauben auch die evolutionäre Verfeinerung der Zelltypen des Nervensystems zu rekonstruieren. Das neue Schwerpunktprogramm „Evolutionäre Optimierung neuronaler Systeme“ wird diese Fortschritte zusammenzuführen um grundlegende Prinzipien der Hirnevolution zu erfassen.

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