Spieglein, Spieglein

Dr. Huixuan Wu erforscht am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation turbulente Strömungen. Schlüssel dazu sind winzige Spiegel.

6. Juni 2013
Im Labor von Dr. Huixuan Wu am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) dreht sich alles um Spiegel. Um tausende, mikroskopisch kleine Spiegel. Eingebettet in winzige, durchsichtige Kügelchen sollen sie helfen, grundlegende Geheimnisse turbulenter Strömungen zu lüften. Mit Hochgeschwindigkeitskameras will der Forscher genau verfolgen, wie eine turbulente Strömung die Kügelchen mitreißt – und mit Hilfe der Spiegel erstmals auch ihre Drehung um die eigene Achse sichtbar machen. Um sein ehrgeiziges Projekt zu verfolgen, erhält Dr. Huixuan Wu in den nächsten zwei Jahren ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung.  

Die eindrucksvollsten Beispiele turbulenter Strömungen können gigantische Ausmaße annehmen: In riesigen Wolken wirbeln Wassertröpfchen wild durcheinander, bei Vulkanausbrüchen entstehen viele hundert Meter hohe Rauch- und Aschewolken und tief im Innern von Sternen versetzen gewaltige Ströme das glühende Plasma in Bewegung. Dennoch liegt der Schlüssel zum Verständnis der Turbulenz im Kleinen verborgen. „Indem wir den Weg einzelner, mikroskopischer Teilchen in einer turbulenten Strömung aufzeichnen und auswerten, hoffen wir, die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten aufzudecken“, erklärt Dr. Huixuan Wu. Denn noch immer sind die physikalischen Gesetze, welche die Turbulenz beschreiben, nicht im Detail verstanden. So ist etwa unklar, wie Turbulenz die Bewegungsenergie einer gerichteten Strömung in ungerichtete Wärmeenergie umwandelt. „Sicher ist nur, dass hier die allerkleinsten Wirbel in der Strömung eine Rolle spielen“, so Wu. „Wir nehmen an, dass für sie die Reibung zwischen den Flüssigkeits- oder Gasschichten so einflussreich wird, dass die wirbelnden Teilchen abgebremst werden und so Wärme entsteht.“

In seinem Projekt, welches die Alexander von Humboldt-Stiftung in den nächsten zwei Jahren fördert, will Wu nun ein entscheidendes Puzzleteil zur Turbulenzforschung hinzufügen: die Drehung der Teilchen um ihre eigene Achse. „Weltweit ist es bisher noch keiner Forschungsgruppe gelungen, die Eigenrotationen einzelner Teilchen in der Strömung zu beobachten“, erklärt Gastgeber Prof. Dr. Eberhard Bodenschatz, Geschäftsführender Direktor des MPIDS. Um den Weg einzelner Teilchen in der Strömung zu verfolgen, nutzen Bodenschatz und sein Team in verschiedensten Experimenten eine Art „Überwachungssystem“ für Teilchen: Die Forscher fügen der Strömung so genannte Tracer-Partikel von nur wenigen Mikrometern Größe zu; Hochgeschwindigkeitskameras, die 40 000 Aufnahmen pro Sekunde liefern, zeichnen jede Bewegung auf.

Aus diesem „Tanz der Teilchen“ lassen sich nicht nur einzelne Teilchenbahnen rekonstruieren. „Greift man bei der Auswertung wenige Teilchen heraus, kann man untersuchen, wie sich ihre relative Position zueinander mit der Zeit verändert“, erklärt Bodenschatz. Verdrehen und verdrillen sich die Teilchen relativ zu einander, deutet dies auf Wirbel in der Strömung hin. „Da die Teilchen selbst jedoch kugelförmig sind, lässt sich die Drehung um die eigene Achse so nicht erkennen“, ergänzt er. Die Situation ist vergleichbar mit der eines Zuschauers bei einem Tennisspiel. Zwar kann der geübte Betrachter vom Rang aus an der Flugbahn des Balles erkennen, ob der Spieler die Filzkugel mit Topspin oder Slice in Rotation versetzt hat. Das eigentliche Rotieren des Balles kann er jedoch nicht ausmachen.

Die Lösung bietet nun eine Idee, die in der Theorie elegant, in der experimentellen Umsetzung jedoch recht kniffelig ist: Die Tracer-Partikel aus einem durchsichtigen Material werden im Innern mit winzigen Spiegeln versehen. Tausende so präparierte Teilchen fügt Wu dann einer turbulenten Wasserströmung zu, die ein motorgetriebenes Rotorblatt in einem Glaszylinder erzeugt. Ein Laser bestrahlt den Versuchsaufbau; eine Hochgeschwindigkeitskamera zeichnet das reflektierte Licht auf. Wenn die reflektierten Signale, die sich sehr schnell bewegen, in einen bestimmten Winkelbereich fallen, können die Kameras ihre Bahn in einer Abfolge von Filmen einfangen. Aus der Krümmung und der Geschwindigkeit der Lichtsignale in diesen Filmen lässt sich dann auch auf die Rotation innerhalb der turbulenten Strömung schließen.

„Die Idee stammt von Kollegen von der Cornell University im US-Bundesstaat New York – und ist bereits etwa 30 Jahre alt“, betont Wu. Doch bis heute ist es niemandem gelungen, das Prinzip umzusetzen. „Eine Schwierigkeit besteht darin, das gemeinsame Signal der vielen Spiegel zu interpretieren“, so Wu. Zudem möchte der Forscher gleichzeitig die Geschwindigkeit der Teilchen messen. „Das ist eine große Herausforderung, aber das MPIDS bietet mir für dieses Vorhaben die perfekte Infrastruktur“, sagt er. 

Doch zunächst wendet sich Wu seinen Spiegeln zu. Diese herzustellen, ist nämlich die erste große Hürde. Erste gemeinsame Versuche mit Kollegen aus der Abteilung „Physikalische Chemie der Polymere“ von Prof. Dr. Katharina Landfester am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, wenige Mikrometer große Glassplitter in durchsichtige Kügelchen aus Polyacrylamid einzubringen, haben sich bereits als vielversprechend erwiesen.

Dr. Huixuan Wu hat an der Beihang Universität in Beijing studiert und 2008 seinen Master-Abschluss an der Johns Hopkins Universität in den USA in Mechanical Engineering erhalten. In seiner Doktorarbeit, die er 2011 an derselben Universität erfolgreich abschloss, wandte er sich der Fluidmechanik und optischen Messmethoden zu. Seit 2011 forscht er am MPIDS in Göttingen. Die Alexander von Humboldt-Stiftung ermöglicht jährlich mehr als 2000 Forschern aus aller Welt einen wissenschaftlichen Aufenthalt in Deutschland.



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