Talentschmiede

In diesem Jahr erhalten zwei Nachwuchswissenschaftler der Göttinger Max-Planck-Institute, beide vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS), die Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft (MPG)

12. Juni 2018
Am 13. Juni 2018 verleiht die MPG Dr. Agostina Palmigiano und Dr. Manuel Schottdorf die Otto-Hahn-Medaille bei ihrer 69. Jahrestagung in Heidelberg. Die beiden Physiker führten ihre Doktorarbeiten im Rahmen des Bernstein Center for Computational Neuroscience (BCCN) durch, das dem modernen interdisziplinären Forschungsgebiet der theoretischen Neurowissenschaft gewidmet ist.

Physikerin Agostina Palmigiano arbeitete in der Gruppe von Prof. Theo Geisel und kooperierte mit Dr. Demian Battaglia (Universität Marseille) und Prof. Fred Wolf. Sie erhält die Otto-Hahn-Medaille für „die Aufdeckung der dynamischen Prinzipien zur flexiblen Schaltung des Informationsflusses in Gehirnnetzwerken“. Physiker Schottdorf arbeitete in der Forschungsgruppe von Prof. Fred Wolf und wurde daneben im experimentellen Teil seiner Arbeit von Prof. Walter Stühmer vom Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin betreut. Er überzeugte die Jury durch seine „wegweisenden Struktur-Funktions-Studien an neuronalen Schaltkreisen“. Die Otto-Hahn-Medaille ist eine seit 1978 existierende Auszeichnung mit der die Max-Planck-Gesellschaft jährlich eine kleine Auswahl ihrer allerbesten Doktoranden auszeichnet.

Wie schaltet das Gehirn den Informationsfluss?

Im Gehirn sind zahlreiche Hirnareale miteinander verschaltet, Information fließt von einem zu anderen oder auch nicht. So kann z.B. durch die sogenannte selektive Aufmerksamkeit der Informationsfluss zwischen verschiedenen Hirnarealen selektiv geschaltet werden, je nachdem welche Information für eine aktuelle Aufgabe relevant ist. Die zugrunde liegenden Mechanismen waren bisher weitgehend unklar, da das Schalten offensichtlich im Bruchteil einer Sekunde erfolgen kann, während sich die Verschaltungen selbst nur sehr viel langsamer verändern können.

Physikerin Agostina Palmigiano untersuchte in ihrer Doktorarbeit die Hypothese, dass kurzzeitige Oszillationen der Hirnaktivität, deren Synchronisation zwischen Hirnarealen man schon länger beobachtet hat, einen Mechanismus für dieses schnelle und flexible Schalten bieten. In einem mathematischen Modell für drei vernetzte Hirnareale zeigte sie, dass durch solche oszillatorische Episoden der Hirnaktivität der Informationsfluss zwischen je zwei Arealen bevorzugt bzw. unterbunden werden kann - und zwar bei unveränderter Verschaltung. Als entscheidend dafür stellte sich dabei die Phasenverschiebung, eine minimale Verzögerung der Oszillationen, zwischen den Arealen heraus. Dieses dynamische Prinzip nach dem Motto „wer zuerst kommt mahlt zuerst“ erlaubt also flexibles Schalten in Sekundenbruchteilen ohne Änderung der Verschaltungen und erklärt einen grundlegenden Mechanismus der visuellen Informationsverarbeitung.

Ein Netzwerk aus lebendigen und simulierten Nervenzellen

Manuel Schottdorf entwickelte die Grundlagen einer synthetischen Neurobiologie neuronaler Hybridschaltkreise, die aus simulierten und lebendigen Nervenzellen bestehen und in denen Schlüsselbestandteile des Schaltplans künstlich manipuliert werden können. So kann der Göttinger Forscher erstmals systematische und experimentelle Studien zur Beziehung von Netzwerkstruktur und Netzwerkfunktion durchführen. Dazu wählte er das visuelle System der Säugetiere. Mit moderner Optik, d.h. digitaler Holographie, und Methoden der gentechnischen Zellmanipulation, sog. Optogenetik, verband er einen Computer, der einen Teil des Sehapparats simulierte, mit einem Netzwerk lebendiger Nervenzellen in der Petrischale und formte einen Hybridschaltkreis. So konnte Manuel Schottdorf aufschlüsseln, wie die spezifische Vorverarbeitung vom Auge bis ins Gehirn und die Verarbeitung im Gehirn zur Informationsverarbeitung beitragen. Er entdeckte, wie die Präferenz für Aspekte einer visuellen Szene nur durch die Wechselwirkung von Nervenzellen entstehen kann. Seine Arbeit ist die Grundlage für einen synthetischen Ansatz in der Hirnforschung und erweitert den Bereich an Fragen, auf den die Wissenschaft experimentell eine Antwort finden kann erheblich.

Doktoranden des MPIDS sehr erfolgreich bei Otto-Hahn-Medaillen

Im vergangenen Jahrzehnt ging die Otto-Hahn-Medaille an elf Promovierte des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation, davon achtmal an Doktoranden des Bernstein Zentrums für Computergestützte Neurowissenschaften Göttingen. Theo Geisel, Gründer des BCCN Göttingen und emeritierter Direktor der Abteilung Nichtlineare Dynamik am MPIDS freut sich über den großartigen Erfolg gleich zweier Bernstein-Doktoranden in diesem Jahr. „Wir haben frühzeitig erkannt, dass die Entschlüsselung der Funktionsweise neuronaler Schaltkreise durch eine neue Generation von Wissenschaftlern erfolgen wird, die einerseits biologisch kompetent sind und andererseits keine Scheu vor mathematischen Analysen haben. Der Erfolg mit acht Otto-Hahn-Medaillen für unsere Bernstein-Doktoranden in den letzten zehn Jahren zeigt, dass dies der richtige Ansatz für ein zukunftsweisendes interdisziplinäres Gebiet ist, das nun in einem Campus Institut für Dynamik Biologischer Netzwerke unter der Leitung von Fred Wolf einen festen Platz findet“.

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