Gedränge in der Haut

Stammzellen verhalten sich unterschiedlich – je nachdem, wie eng es in ihrer Umgebung ist

14. Dezember 2017

Die menschliche Haut ist ein bemerkenswertes Organ, das den Körper vor Krankheitserregern oder giftigen Substanzen schützt. Sie passt sich unserem Körper perfekt an und erneuert sich über die gesamte Lebenszeit ständig. Um ein solch komplexes und dynamisches Verhalten zu ermöglichen, hat jede Hautzelle eine spezifische Aufgabe – abhängig davon, wo sie in der Haut sitzt. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln konnten jetzt in Zusammenarbeit u.a. mit dem Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation zeigen, dass das Verhalten von Stammzellen der Haut davon abhängt, wie dicht ihre Umgebung gepackt ist. Zudem bewegen sich die Zellen durch diesen Druck innerhalb des Gewebes und stellen so sicher, dass jeder Zelltyp seine richtige Position einnimmt.

Die Haut eines Erwachsenen besteht aus verschieden Schichten. Ihre Stammzellen sitzen in der untersten Schicht und sorgen dort ständig für Nachschub an neuen Zellen. Diese wandern dann innerhalb des Gewebes nach oben und verwandeln sich währenddessen in spezialisierte Zellen – ein Vorgang, der auch als Differenzierung bezeichnet wird.

Dafür müssen die Zellen ständig ihre Eigenschaften verändern. Die Haut muss ständig ein Gleichgewicht zwischen differenzierten Zellen und Stammzellen aufrechterhalten. Ohne dieses natürliche Gleichgewicht geht die Struktur der Haut verloren und sie kann nicht mehr als Barriere wirken. Wie die Haut dieses komplizierte Gleichgewicht erhält, war bis jetzt weitgehend unklar. "Wir haben uns daher zunächst gefragt, woher die Hautzellen wissen, wo sie sich in der Haut befinden und was sie dann dort zu tun haben", erklärt Yekaterina Miroshnikova, Erstautorin der Studie und Postdoktorandin in der Forschungsgruppe von Sara Wickström am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns.

Zusammendrängen führt zu Differenzierung

Die Kölner Wissenschaftler haben embryonales Mausgewebe und kultivierte Stammzellen untersucht und dabei einen eleganten Mechanismus entdeckt. "Wir haben beobachtet, dass Stammzellen während der Teilung die Zellen in ihrer Umgebung deformieren und die gesamte Stammzellschicht zusammendrängen. Interessanterweise führt diese Verdichtung und Verformung zu einer Differenzierung der benachbarten Zelle", erklärt Miroshnikova. Die zusammengequetschten Zellen verändern ihre Eigenschaften und entkommen dem lokalen Druck, indem sie in höhere Schichten 'flüchten'. "Eine Zelle nimmt also genau wahr, was bei ihren Nachbarn vor sich geht, und macht dann genau das Gegenteil davon. Dadurch bleibt die Größe und Struktur des Gewebes auf einfache Art und Weise erhalten", sagt Miroshnikova.

Die von der Max und Ingeburg Herz-Stiftung geförderten Ergebnisse zeigen zum ersten Mal, wie sich ein so komplexes Gewebe wie die menschliche Haut selbst durch sehr einfache Prinzipien der Selbstorganisation erhalten kann. In Zukunft will die Forschergruppe über Computermodelle und zellbiologische Experimente herausfinden, wie genetische Mutationen während der Teilung und Differenzierung der Stammzellen zur Krebsentstehung beitragen und wie dem eventuell vorgebeugt werden kann. 

Genau in den letztgenannten Bereichen, also theoretischen Modellsystem, quantitativer Biologie oder auch Dynamik der Musterbildung erhielt die Wickström Gruppe für die vorliegende Arbeit Unterstützung aus Grenoble, Leipzig, Martinsried und Göttingen. Nadine Kamprad und Marco Tarantola, Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation, beteiligten sich an Messungen der Spannung innerhalb einzelner Hautzellen im Verband. Sie steuerten zudem sowohl vor Ort als auch durch technisches Know-How hinsichtlich der Kraftmikroskopie am MPI für Biologie des Alters in Köln zum Gelingen des Projektes bei: "Bei unseren Versuchen haben wir uns angeschaut, wie stark sich die Anheftungskräfte benachbarter Zellen in einzelnen Hautschichten ändern. Dies ist eine wichtige treibende Größe während des beobachteten Differenzierungsprozesses.", sagt Marco Tarantola, Gruppenleiter am MPIDS. 

(MB/HR, CH/GS)

Zur Redakteursansicht