Frage:

Wie wurde Latein ausgesprochen?

Antwort:

Latein ist, sagt man, eine „tote“ Sprache. Das heißt: Es ist nicht mehr die Muttersprache eines Menschen unserer Tage. Latein ist aber auch eine sehr alt bezeugte Sprache. Die frühesten Inschriften stammen aus dem 7. oder 6. Jahrhundert vor Christus. Als Schriftsprache hat das Lateinische über das Mittelalter bis heute überlebt („Neulatein“), aber als „lebende“ Sprache ist es im Laufe der Zeit, wie jede Sprache, durch mündlichen Gebrauch verändert worden. Eltern geben ihre Sprache an ihre Kinder weiter, und das gilt auch für das Lateinische. In dem sich immer weiter ausbreitenden römischen Reich traf das Lateinische auf anderssprachige Völker, die im Laufe der Zeit das gesprochene Latein als Muttersprache übernahmen. Daraus haben sich in den ersten tausend Jahren nach Christus die verschiedenen romanischen Sprachen (Französisch, Italienisch, Spanisch, usw.) entwickelt. Der Abstand der gesprochenen Sprache zu der seit dem Altertum im wesentlichen unveränderten lateinischen Schriftsprache ist also immer größer geworden. Wer heute eine romanische Sprache als Muttersprache spricht, muss Latein wie eine Fremdsprache lernen (auch deutsche Muttersprachler können ja übrigens nicht auf Anhieb einen althochdeutschen Text verstehen). Trotzdem lebt das Lateinische streng genommen in den heutigen romanischen Sprachen fort und ist insofern nicht „tot“.

Die Entwicklung des Lateinischen hin zu den romanischen Sprachen liefert uns eine wichtige Quelle für Erkenntnisse über die Aussprache des Lateinischen auch in älteren Zeiten: Lautveränderungen unterliegen ziemlich stabilen Gesetzmäßigkeiten, aus denen wir Rückschlüsse auf ältere Aussprachegewohnheiten ziehen können. Das Wort für „hundert“ wird im Lateinischen geschrieben und in unterschiedlichen Schulaussprachen [tsentum] oder [kentum] ausgesprochen. Die romanischen Sprachen zeigen eine Vielfalt von Aussprachen für den ersten Laut dieses Wortes: italienisch cento mit „tsch“, französisch cent mit „s“, spanisch ciento mit „th“ (wie englisch). Nur auf Sardinien lautet dieses Wort [kentu], mit einem „k“ als erstem Laut. Aus unserer Kenntnis der Entwicklung von Sprachen wissen wir, dass ein [k], das hinten im Mund gesprochen wird, sich häufig im Mund weiter nach vorne entwickelt, bis hin zu dem „th“-Laut. Dass aber etwa ein Laut wie engl. „th“ zu [k] würde, ist nicht belegt. Deshalb ist die Annahme naheliegend, dass der durch das Schriftzeichen wiedergegebene lateinische Laut ein [k] gewesen ist.

Hinzu kommen lateinische Wörter, die in andere Sprachen entlehnt worden sind. Im Deutschen haben wir mehrere Beispiele dafür: Das lateinische Wort „cellarium“ (deutsch: Vorratsraum) ist als „Keller“ entlehnt – mit [k] für das lateinische , ebenso „Kiste“ aus dem lateinischen Wort „cista“ usw. Auch für die lateinische Buchstabenkombination , die in den Schulen oft als „ä“ gesprochen wird, zeigt ein lateinisches Lehnwort im Deutschen, wie es wirklich gesprochen wurde: „Kaiser“ geht auf das lateinische „Caesar“ zurück, den Namen des römischen Herrschers, der heute allgemein in spätlateinischer Art als „Zäsar“ ausgesprochen wird.

Eine weitere und sehr wichtige Quelle unserer Erkenntnisse stammt aus der Wissenschaft des antiken Roms selbst: Viele römische Grammatiker haben zum Teil sehr ins einzelne gehende Beschreibungen der Aussprache des Lateinischen geliefert. Nur ein Beispiel: Der Grammatiker Probus tadelt Aussprachefehler seiner Zeit und sagt, wie es richtig heißen muss, z.B. „aqua, non acqua“, womit er die Länge des [k] in der volkstümlichen Aussprache anprangert (die sich aber im Italienischen durchgesetzt hat).

Schließlich liefern die zahlreichen Inschriften vielfache Hinweise auf die tatsächliche Aussprache von Wörtern, die in der „Literatursprache“ einer einheitlichen Rechtschreibung folgen: inschriftlich für (deutsch: Konsul), für (deutsch: Zensor) zeigen, dass das [n] vor [s] in der Volkssprache schon geschwunden war und nur den vorangehenden Vokal, wie im Französischen, nasaliert hat. Manchmal steht über Langvokalen ein besonderes Zeichen.

Und es zeigt uns die lateinische Dichtung, welche Vokale lang und welche kurz gesprochen wurden, und auch, dass doppelt geschriebene Konsonanten wie im Italienischen lang zu sprechen sind.

Insgesamt haben wir ein sehr verlässliches Bild davon, wie das Latein der klassischen Zeit gesprochen wurde. Eine sehr gute Probe liefert die bei einem großen Göttinger Wissenschaftsverlag erschienene CD „Litora audio“.

Zur Redakteursansicht